Shannara III
Ein Auge war angeschwollen und begann sich zu schließen. Er betupfte die Wunden mit seinem Hemdsärmel und winkte den Talbewohner zurück. »Nein, es sind bloß ein paar Schrammen. Nichts Schlimmes.«
Doch er zuckte vor Schmerzen zusammen. Unter Mühe kam er auf die Beine und stützte sich gegen die Wand. In seinen Augen stand ein unruhiger Blick.
Spinkser stand wieder aufrecht und schaute sich geheimnisvoll um. Sie befanden sich mitten auf einem schmalen Korridor, der auf der einen Seite zu einer geschlossenen Flügeltür, auf der anderen zu einem Treppenschacht führte, der ins Tageslicht mündete.
»Hier entlang!« winkte er und lief auf das Licht zu. »Beeilt euch - ehe etwas anderes uns entdeckt!«
Sie rannten alle hinter ihm her bis auf Helt, der noch immer an der Wand des Ganges lehnte. Jair schaute zurück und verlangsamte seine Schritte. »Helt?« rief er.
»Lauf weiter, Jair.« Der hünenhafte Mann tupfte immer noch Blut von seinem Gesicht. Dann stieß er sich von der Wand ab und setzte sich hinter ihnen her in Bewegung. »Nun geh weiter. Bleib dicht bei den anderen!«
Jair tat, wie geheißen, in dem Bewußtsein, daß der Grenzländer ihnen folgte, aber auch wohlwissend, daß ihm das äußerst schwerfiel. Irgend etwas stimmte ganz und gar nicht mit ihm.
Sie gelangten ans Ende des Korridors und stürmten die Stufen hinauf. Die gespenstische Stille der Festung wurde durch das Geräusch anderer Schritte und Stimmen durchbrochen, die wirr durcheinander, fern und unverständlich klangen. Das Kreischen des Flügelwesens hatte sie gewarnt, daß sich Eindringlinge in der Burg aufhielten. Jairs Gedanken arbeiteten wie rasend, während er mit den anderen die lange Treppe hinaufhetzte. Er durfte nicht vergessen, daß er das Wünschlied zu seinem Schutz besaß - das konnte er sinnvoll einsetzen, wenn er es nur schaffte, den Kopf nicht zu verlieren…
Etwas zischte an seinem Gesicht vorüber, daß er strauchelte und fiel. Ein Pfeil schlug in eine Wand des Treppenhauses. Sogleich war Helt neben ihm und zerrte ihn wieder in die Höhe. Pfeile pfiffen rund um sie her, als die Gnomen-Jäger im Korridor unten und auf den Brustwehren oben auftauchten. Die Gefährten befanden sich in den Mauern von Graumark, aber ihre Widersacher wußten es nun und versammelten sich. Jair erreichte das obere Ende der Treppe und stürmte hinter den anderen her an einer Reihe von Zinnen vorbei, die einen weiten Innenhof und ein Labyrinth von Türmen und Befestigungen überragten. Von überall her tauchten nun Gnomen mit Waffen in Händen und wildem Geschrei auf. Eine Handvoll lag niedergemacht von Garet Jax vor ihnen auf dem Wehrgang, wo der schwarz gekleidete Waffenmeister den Weg freikämpfte. Die Sechs rannten auf der Brustwehr entlang zu einer Turmtreppe, wo Spinkser sie zum Anhalten aufforderte.
»Die Falltür - dort!« Er deutete über den Innenhof zu einem eisernen Gatter, das über einem Torbogen in der dicken Quadermauer hochgezogen war. »Der Weg führt am schnellsten zum Croagh!« Sein gelbes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, als er nach Atem rang. »Die Gnomen werden binnen kurzem merken, daß wir dort hinaus wollen. Und dann lassen sie das Gatter herunter, um uns abzufangen. Wenn wir aber vor ihnen dort sind, können wir es benutzen, um ihnen statt dessen den Weg abzuschneiden!«
Garet Jax nickte und wirkte eigentümlich gelassen inmitten der Hektik dieses Augenblicks. »Wo sind das Räderhaus und die Winde?«
Spinkser deutete wieder in eine bestimmte Richtung. »Unter dem Tor - auf dieser Seite. Wir werden die Räder blockieren müssen!«
Rund um sie her ertönten Rufe und Schreie. Im Innenhof unten begannen die Gnomen zusammenzuströmen.
Garet Jax richtete sich auf. »Schnell dann - ehe es zu viele für uns sind.«
Die kleine Gesellschaft raste hinter Spinkser her die Turmtreppe hinunter. Unten angelangt, durchquerten sie einen dunklen, geschlossenen Flur zu einer einzelnen Tür, die auf den Innenhof führte. Auf dem ganzen Hof machten Gnomen-Jäger Front, um sich ihnen entgegenzustellen.
»Gütige Geister!« keuchte Spinkser.
Sie liefen los und stürmten auf das Tor zu.
Brin Ohmsford stand langsam auf und ließ eine Hand sanft auf Wispers massigem Kopf ruhen. In der Höhle herrschte wieder Stille, und nichts rührte sich. Einen Augenblick lang stand sie auf der Mitte der Felsbrücke und schaute über den Abgrund zu der Stelle, wo das Tageslicht die hohe, gewölbte Grotte erhellte, die ins Freie führte.
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