Shannara III
verlangsamte seinen Schritt, als Wisper den mächtigen Kopf herumschwenkte, um ihn anzusehen.
Wieder schüttelte das Mädchen den Kopf. »Das kann ich nicht, Rone. Er verläßt sich in dieser Sache auf sein eigenes Urteil.«
»Sein Urteil kümmert mich keinen Deut!« explodierte Rone. »Er ist nur ein Tier und darf keine solche Entscheidung fällen! Ich werde an ihm vorbeigehen, ob ihm das paßt oder nicht. Ich werde Brin in diesem Höllenschlund nicht allein lassen!«
Er riß das Schwert in die Höhe und wollte auf Wisper zugehen, doch im gleichen Augenblick ließ ein gewaltiges Beben den Berg erzittern, das aus dem dunklen Dschungel des Maelmord aufstieg. Die Erschütterung war so heftig, daß der Hochländer und das Mädchen den Halt verloren und überrascht zurücktaumelten. Erschreckt versuchten sie, ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen, und eilten zum Rand der Klippen.
»Was ist dort drunten geschehen?« flüsterte Rone besorgt. »Was ist passiert, Kimber?«
»Wandler, vermutlich«, krächzte Cogline von hinten. »Haben die schwarze Magie gegen das Mädchen aufgerufen.«
»Großvater!« Diesmal war Kimber wütend.
Rone wirbelte zornig herum. »Alter Mann, wenn Brin etwas zugestoßen ist, weil diese Katze mich hier oben aufgehalten hat…«
Dann verstummte er plötzlich. Auf den Stufen des Croagh erschien eine Reihe gebeugter, ins schwächer werdende Zwielicht des Spätnachmittags gehüllte Schatten. Sie schritten einer hinter dem anderen die Treppe von Graumarks bleigrauen Mauern herab und folgten ihrer Spirale geradewegs auf das Felssims zu, wo Rone und seine Begleiter warteten.
»Mordgeister!« hauchte der Hochländer leise.
Wisper fuhr bereits herum und duckte sich angriffsbereit nieder, um sie nötigenfalls zu verteidigen. Coglines plötzliches Einatmen zischte laut durch die Stille.
Rone starrte wortlos hinauf, wo die Reihe der dunklen Gestalten länger wurde und näherrückte. Es waren zu viele.
»Stell dich hinter mich, Kimber!« mahnte er sie.
Dann riß er sein Schwert in die Höhe.
Ich muß dich benutzen… dich benutzen… dich benutzen.
Die Worte kreisten unablässig in Brins Denken und schwollen zu einer Litanei der Überredung an, die alle Vernunft zu ersticken drohte. Doch ein Hauch von Logik blieb zurück und schrie ihr über die Worte des Singsangs entgegen.
Das ist die schwarze Magie, Talmädchen! Das ist das Böse, zu dessen Vernichtung du diesen Ort aufgesucht hast.
Doch die Berührung des Buches an der Haut ihrer Hände und das Feuer, das es in ihrem Körper entfachte, hielt sie dermaßen in ihrem Bann, daß nichts dagegen ankommen konnte. Und wieder klang die Stimme an ihr inneres Ohr und umschmeichelte sie.
- Was bin ich anderes, als eine im Laufe der Zeitalter angehäufte Sammlung von Wissen, die zum Gebrauch der Sterblichen gebunden wurde? Ich bin weder gut noch böse, sondern nur ein real existierendes Ding. Aufgezeichnete und gebundene Erfahrung - existent für jedermann, der nach dem Wissen strebt. Ich nehme, was man mir bietet, von den Leben jener, die mit meinen Lehrsätzen arbeiten, und stelle nur eine Widerspiegelung von ihnen dar. Denk nach, Kind der Finsternis. Wer sind diejenigen gewesen, die mich benutzen wollten? Welchen Zweck wollten sie damit dienen? Du bist anders als sie. -
Brin stemmte sich gegen den Altar und hielt das Buch umklammert. Hör nicht zu! Hör nicht zu!
- Für über tausend Jahre befand ich mich im Besitz deiner Feinde. Nun nimmst du ihren Platz ein und hast die Gelegenheit, mich auf eine nie erprobte Weise zu benutzen. Dir wohnt meine Macht inne. Du bist Herrin der Geheimnisse, die so viele fälschlich genutzt haben. Überlege dir, was du mit dieser Macht anfangen möchtest, Kind der Finsternis. Durch mich kann alles Lebendige und Tote neugeschaffen werden. Würde sich das Wünschlied mit dem geschriebenen Wort vereinigen, Magie mit Magie - wie großartig wäre das. Du könntest fühlen, wie großartig es wäre, wenn du es nur einmal versuchen wolltest -
Doch ein Versuch war nicht nötig. Sie hatte es bereits vorher in der Macht ihres Wünschliedes gefühlt. Macht! Sie war davon mitgerissen worden, hatte in ihrer Süße geschwelgt. Als sie sie umhüllte, erhob sie sich weit über die ganze Welt und deren Geschöpfe und konnte sie an sich ziehen oder auslöschen, ganz wie sie das entschied. Wieviel mehr konnte sie demnach vollbringen - konnte sie fühlen, wenn sie auch die Macht dieses Buches besäße?
- Alles Bestehende wäre dein.
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