Shannara VII
Regen. Preia würde bald zurück sein, und sie würden ihre Mahlzeit einnehmen - die letzte, bevor sie in das Tal von Rhenn aufbrachen. Ein großer Teil der Armee lagerte bereits dort. Der hohe Rat hatte den Notstand erklärt, und der frisch gekrönte König hatte den Oberbefehl übernommen. Seine Macht war jetzt allumfassend und unumstößlich. Erst zwei Wochen zuvor hatten sie ihn gekrönt, dann hatte er Preia geheiratet und die beiden Waisen der Ballindarrochs adoptiert. Nachdem das Problem der Krönung erledigt war, hatte er seine Aufmerksamkeit auf den Hohen Rat gerichtet. Vree Erreden war jetzt Erster Minister und Preia ein vollwertiges Ratsmitglied. Es hatte ein bißchen Gemurmel gegeben, aber keinen Widerstand. Er hatte die Elfenarmee mobil machen und den Zwergen zu Hilfe schicken wollen und den Rat um Zustimmung gebeten. Es hatte noch mehr Gemurmel gegeben, und Widerstand war angedroht worden, aber bevor die Angelegenheit hatte bereinigt werden können, waren sie über den Anmarsch der Nordlandarmee informiert worden. Nun gab es keinen Grund mehr für die Elfen, anderswo hinzugehen.
Als er noch einmal über diese Sache nachdachte, schüttelte Jerle den Kopf. Er wußte nicht, was aus den Zwergen geworden war. Niemand wußte es. Er hatte Reiter nach Osten geschickt, um so etwas darüber zu erfahren, ob die Zwerge vernichtet worden waren, aber er hatte noch nichts Endgültiges von ihnen gehört. Er konnte daraus nur den einen Schluß ziehen, daß die Zwerge nicht in der Lage waren, ihnen zu helfen, und sie dies allein durchstehen mußten.
Er schüttelte müde den Kopf. Die Elfen hatten keine Verbündeten, keine Magie, keine Druiden und keine echte Chance, diesen Krieg zu gewinnen - ungeachtet der Visionen, Prophezeiungen und großen Hoffnungen.
Er schaute wieder auf die Karten, die eine sorgfältige Darstellung des Geländes boten, als würde die Antwort des Problems dort vor ihm liegen und er hätte sie bisher nur noch nicht gesehen. Noch vor kurzem hätte er sich eine derart ehrliche Antwort über die Situation nicht zugestanden. Es gab einmal eine Zeit, da hätte er nicht zugegeben, daß er einen Kampf gegen einen stärkeren Feind würde verlieren können. Er hatte sich seither sehr verändert. Der Verlust Tay Trefenwyds und der Ballindarrochs, beinahe auch der von Preia, seine Krönung als König der Elfen unter eher unangenehmen Umständen und die Erkenntnis, daß das Bild, das er von sich selbst hatte, mehr als nur ein bißchen fehlerhaft war - das alles hatte ihm zu denken gegeben und dazu geführt, daß er einen anderen Standpunkt eingenommen hatte. Diese Erfahrung hatte ihn zwar nicht gelähmt, aber doch sehr ernüchtert. So ähnlich war es wohl, wenn man erwachsen wurde, vermutete er. Das Leid und die Qualen, wenn man die Kindheit für immer hinter sich ließ.
Er ertappte sich plötzlich dabei, wie er die Narben auf seinem Handrücken beobachtete. Sie wirkten selbst wie kleine Landkarten der Entwicklung seines Lebens. Er war in unglaublich kurzer Zeit ein riesiges Stück weiter gekommen - Krieger von Geburt an und jetzt König der Elfen - und die Narben an seinem Körper zeugten deutlicher von den Kosten dieser Reise, als es Worte je zu sagen vermocht hätten. Wie viele Narben würde er in dem Kampf mit dem Dämonenlord davontragen? War er stark genug für diese Auseinandersetzung? War er stark genug, um zu überleben? Nicht nur sein eigenes Schicksal hing von dieser Schlacht ab, sondern auch das seines Volkes. Wieviel Kraft war dafür erforderlich?
Mit einem lauten Krachen flogen die Türen auf, die zur Terrasse führten. Der starke Wind trieb sie gegen die Mauer, so daß die Vorhänge wild umherwirbelten. Jerle Shannara griff rasch nach seinem Breitschwert, als zwei schwarzbemäntelte Gestalten regendurchnäßt und vornübergebeugt in den Raum drangen. Der Wind wehte die Karten vom Tisch auf den Boden, und die Lampen flackerten und verlöschten.
»Laß die Hand, wo sie ist, Elfenkönig«, befahl der erste der beiden Eindringlinge, während der zweite, kleinere, sich umdrehte, die Tür wieder schloß und Wind und Regen aussperrte.
Es wurde still im Raum. Wasser tropfte von den dunklen Mänteln auf den Steinboden, sammelte sich zu kleinen Pfützen. Der König duckte sich argwöhnisch, das Schwert zur Hälfte aus der Scheide gezogen. Er war angespannt und zum Sprung bereit. »Wer seid Ihr?« verlangte er.
Der größere der beiden zog seine Kapuze zurück und enthüllte in dem grauen, schwachen
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