Shannara VIII
nehme ich an.«
»Besitzen alle Flugreiter eine so hervorragende Beobachtungsgabe?«
Er kicherte leise. »Die Nerven liegen offenbar ebenfalls blank.«
Darauf erwiderte sie nichts, sondern sah auf ihre Beine, ihre Stiefel und das Deck. Die Zeit verstrich. In ihrem Herzen fühlte sie eine große Leere, die noch zunahm, während sie untätig herumsaß.
Schließlich hob sie den Blick und schaute ihn an. »Wie lange ist es her, seit wir sie verlassen haben? Eine Woche ungefähr, oder? Zu lange, Flugreiter. Viel zu lange.«
Er nickte und runzelte die Stirn. Erst setzte er an, etwas zu sagen, und hielt dann inne, als habe er entschieden, alle Worte seien überflüssig. So schloss er die Hände um ein Knie, schaukelte sanft hin und her und schüttelte den grauen Kopf.
»Dir gefällt diese Verzögerung doch bestimmt genauso wenig wie mir«, fuhr sie fort. »Bestimmt willst du auch etwas tun.«
Er nickte. »Darüber habe ich auch schon nachgedacht.«
»Wenn wir nur herausfinden könnten, ob es ihnen gut geht, ob sie in Sicherheit sind, bis das Schiff sie erreichen kann…«
Sie beendete den Satz nicht, sondern wartete ab, ob er das tun würde. Stattdessen schaute er in die Ferne, als versuche er die anderen durch Nebel und Kälte zu entdecken. Dann nickte er abermals. »Ich könnte nach ihnen suchen. Eigentlich könnte ich jetzt sofort aufbrechen. Sollte es sogar jetzt tun, denn sobald der Sturm da ist, wird es nicht so leicht sein zu fliegen.«
Sie beugte sich ungeduldig vor, wobei sich ihr rotes Haar fächerartig über ihre Schultern ausbreitete. »Ich habe die Koordinaten. Der Große Rote hat sie auf einer Karte eingezeichnet. Wir könnten den Weg zurück ohne Schwierigkeiten finden.«
Überrascht sah er sie an. »Wir?«
»Ich komme mit.«
Er schüttelte den grauen Kopf. »Dein Bruder wird dich nicht ziehen lassen, und das weißt du auch. Er würde es schon ablehnen, ehe du deinen Vorschlag ganz zu Ende erzählt hast.«
Sie ließ darüber einen Moment verstreichen, dann tippte sie sich mit dem Finger an die Schläfe. »Denk drüber nach, was du gerade gesagt hast, Hunter Predd«, schlug sie ihm leise vor. »Wann hat mir mein Bruder zum letzten Mal vorgeschrieben, was ich zu tun und zu lassen habe?«
Als er begriff, lächelte er kläglich. »Nun, gefallen wird es ihm so oder so nicht.«
Sie erwiderte das Lächeln. »Mit einer solchen Enttäuschung muss er nicht zum ersten Mal fertig werden. Und sicher nicht zum letzten Mal, möchte ich wetten.«
»Wir beide also?«, fragte er und zog eine Augenbraue hoch.
»Wir beide.«
»Ich würde ihm lieber nichts davon erzählen.«
»Besser nicht.«
»Ich werde keine Fragen stellen, was du vorhast, wenn wir dort angekommen sind, obwohl ich wetten möchte, dass es sich nicht nur um einen kurzen Paradeflug handelt.«
Wortlos nickte sie.
Er seufzte tief. »Es wäre schön, wieder in der Luft zu sein, gut, das zu tun, was wir gelernt haben, Obsidian und ich.« Er rieb sich die schwieligen Hände. »Po Keiles und Niciannon lassen wir hier, damit sie deinem Bruder helfen können, falls das notwendig wird. Vielleicht spornt sie unser Aufbruch an, sich bei den Reparaturen ein wenig mehr zu beeilen.«
»Vielleicht. Mein Bruder lässt sich nicht gern etwas entgehen. Sich im Landesinneren umzuschauen war eigentlich seine Idee.«
»Jetzt hast du sie ihm geklaut.« Er schüttelte den Kopf und grinste. »Wie schnell kannst du fertig sein?«
Vorsichtig stand sie auf und entledigte sich der Decke. Darunter trug sie den Gürtel mit ihren Wurfmessern.
Sie zwinkerte. »Wie schnell hast du deinen Vogel gesattelt?«
Kapitel 18
Sie flogen auf Obsidian gen Westen, von der Küste fort und landeinwärts, saßen bequem in dem Reitharnisch, der auf den gefiederten Rücken des Rocks geschnallt war, und Hunter Predd hielt die Zügel, während Rue Meridian hinter ihm Platz genommen hatte. Die Fahrende trug ihr schwarzes, abgewetztes Fliegerleder. Ihre Wunden hatte sie sorgfältig verbunden und abgepolstert, und das Leder bot zusätzlichen Schutz. An Waffen hatte sie ihre Wurfmesser im Gürtel stecken, eines davon im Stiefel, ein langes Messer trug sie auf dem unverletzten Oberschenkel, und Pfeil und Bogen hatte sie über die Schulter geschlungen. Wegen der Kälte und des Windes hatte sie einen großen Mantel mit Kapuze angelegt, und trotzdem zog sie den Kopf ein und die Schultern zusammen.
Dass ihr Bruder wütend war, weil sie einfach losflog, durfte man getrost als Untertreibung des
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