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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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hat sie ihm nie verziehen. Dennoch war sie so unglaublich loyal ihm gegenüber. Ich habe das nie verstanden. Aber auf diese Weise sind wir zusammengekommen – ich habe gesehen, was da passiert, und sie tat mir irgendwie leid, weißt du. Nach einer Weile kam eins zum anderen. Aber ich bin nie wirklich zu ihr durchgedrungen. Und du offenbar auch nicht. Ich glaube, das gelingt keinem jemals.«
    »Das ist eine gewagte Behauptung.«
    »Ja, sicher. Aber ich versuche nur, dich zu warnen. Ich will nicht, dass du noch weiter verletzt wirst, Bruder. Wir haben schon zu viel durchgemacht, na ? Und ich möchte auch nicht, dass sie verletzt wird.«
    Wir verfielen wieder in Schweigen, starrten minutenlang auf die Felsen und die gefrorene Erde, ohne uns anzusehen. Schließlich holte Khaled tief Luft, stand auf und klopfte sich auf Arme und Beine, um die Kälte zu vertreiben. Ich erhob mich auch, zitternd vor Kälte, und stampfte mit den Füßen. Im letzten möglichen Moment und so abrupt, als breche er mit voller Kraft durch ein dichtes Gestrüpp aus Ranken, umarmte mich Khaled. Seine Arme waren stark, doch sein Kopf berührte mein Gesicht so sachte, als sei ich ein schlummerndes Kind.
    Als er sich von mir löste, wandte er sich ab, und ich konnte seine Augen nicht sehen. Er ging zur Höhle zurück. Ich steckte die Hände unter die Achseln, um sie zu wärmen, und folgte ihm langsam. Erst jetzt kam mir wieder in den Sinn, was Khaled zu Anfang gesagt hatte: Ich habe ein schlechtes Gefühl, Lin. Ein ganz schlechtes Gefühl …
    Ich beschloss, ihn noch einmal darauf anzusprechen, doch in diesem Moment trat Habib plötzlich aus der Dunkelheit auf mich zu, und ich zuckte erschrocken zusammen.
    »Verfluchte Scheiße!«, zischte ich. »Du hast mich fast zu Tode erschreckt! Mach das nie wieder, Habib!«
    »Alles gut, alles gut«, sagte Mahmud Melbaaf beruhigend, der nun neben den Wahnsinnigen trat.
    Habib redete wild auf mich ein, so schnell, dass ich nicht eine einzige Silbe verstand, und seine weit aufgerissenen Augen über den schweren schwarzen Tränensäcken traten ihm fast aus dem Kopf.
    »Was?«
    »Es ist alles gut«, wiederholte Mahmud. »Er will mit allen reden. Er redet heute Abend mit jedem der Männer. Er sagt mir, dass ich für dich übersetzen soll. Du bist der Letzte, vor Khaled. Mit Khaled will er zuletzt sprechen.«
    »Was hat er gesagt?«
    Mahmud forderte Habib auf, seine Worte zu wiederholen, und der Wahnsinnige redete wiederum auf mich ein und starrte mir dabei in die Augen, als erwarte er, dass jeden Moment ein Feind oder ein monströser Unhold daraus hervorspränge. Ich wiederum erwiderte den Blick, ohne mit der Wimper zu zucken; ich war oft genug mit gewalttätigen Verrückten eingesperrt gewesen und hatte nicht die Absicht, Habib auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.
    »Er sagt, starke Männer machen das Glück«, übersetzte Mahmud.
    »Wie?«
    »Starke Männer, sie machen das Glück selbst.«
    »Starke Männer sind ihres eigenen Glückes Schmied? Meint er das?«
    »Ja, genau das«, bestätigte Mahmud. »Ein starker Mann kann sein eigenes Glück machen.«
    »Und was will er damit sagen?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete Mahmud geduldig lächelnd. »Das ist, was er sagt.«
    »Er geht von einem Mann zum andern, um das zu verkünden?«, fragte ich. »Dass ein starker Mann seines eigenen Glückes Schmied ist?«
    »Nein. Mir hat er gesagt, dass der Prophet, Friede sei mit ihm, ein großer Soldat war, bevor er ein großer Lehrer wurde. Jalalaad hat er gesagt, dass die Sterne funkeln, weil sie voller Geheimnisse sind. Er sagt zu jedem Mann etwas anderes. Es ist ihm wichtig, und er redet zu schnell. Ich verstehe das nicht, Lin. Ich glaube, er macht das, weil wir morgen kämpfen.«
    »Wollte er noch was sagen?«, fragte ich, verwirrt über die eigenartige Botschaft.
    Mahmud fragte Habib, ob er mir noch etwas sagen wolle. Habib starrte mich weiterhin unverwandt an und redete in Farsi und Paschto auf mich ein.
    »Er sagt, Glück sei ungeheuer wichtig. Er will, dass du ihm glaubst. Er sagt, dass ein starker Mann –«
    »Seines Glückes Schmied ist«, beendete ich den Satz für ihn. »Gut, sag ihm, dass ich ihm für die Botschaft danke.«
    Mahmud übersetzte, und Habib starrte mich noch eindringlicher an, als suche er in meinen Augen eine Erkenntnis oder eine Antwort, die ich ihm nicht geben konnte. Dann wandte er sich ab und lief in dieser gebückten gehetzten Haltung davon, die ich noch unheimlicher und bedrohlicher

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