Shardik
an dem Weidengeflecht zerrte und zog.
Aufblickend sah er plötzlich die Tuginda neben sich stehen. Ihre Kleidung war trocken, aber die schwarze, pulverige Asche, die durch die Luft geweht wurde, hatte auf ihr Gesicht und ihre Arme Streifen gezeichnet und lag als Staubschicht auf ihrem Haar. Obwohl sie einen gespannten Bogen und einen Köcher mit Pfeilen trug, schien das Kämpfen, dessen Lärm nun die ganze Stadt erfüllte, sie gleichgültig zu lassen. Sie stand wortlos neben ihm und blickte auf ihn nieder.
»Ich muß mich den anderen zum Kampf anschließen, Saiyett«, sagte er. »Der junge Baron wird mich für einen Feigling halten. Vielleicht ist er in Not – ich weiß es nicht.«
Sie sagte noch immer nichts, er brach ab, blickte zu ihr auf und versuchte zugleich, seinen linken Arm weiter durch den Spalt zu stecken, den er in das Geflecht gerissen hatte.
»Shardik, unser Herr, verläßt Ortelga«, sagte die Tuginda endlich.
»Saiyett, die Kämpfe – «
»Sein Werk hier ist getan – was immer es gewesen sein mag.«
»Du hörst doch, daß es nicht so ist! Halte mich nicht auf, Saiyett, ich bitte dich!«
»Das mag die Aufgabe anderer sein. Unsere Aufgabe ist es nicht.«
Er starrte sie an.
»Aber was ist denn unsere Aufgabe, wenn nicht der Kampf für Shardik, unseren Herrn?«
»Dem zu folgen, den Gott gesandt hat.«
Sie drehte sich um und begann, zurück zum Fluß zu gehen. Er zögerte noch und sah, wie sie sich bückte und etwas aus der Asche der abgebrannten Hütte aufhob. Sie blieb einen Augenblick stehen, wog es in ihrer Hand, und als sie sich bewegte, sah er, daß es ein hölzerner Schöpflöffel war. Dann verschwand sie durch den Rauch über die steile Böschung nach unten. Kelderek ließ sein Geflecht fallen, steckte das Messer in seinen Gürtel und folgte ihr.
Am Ufer warteten Rantzay und Sheldra neben einem auf die Uferkiesel gezogenen Kanu. Sie starrten auf das Wasser hinaus, ohne ihn zu beachten. Ihrem Blick folgend sah er, wie Shardik mit planschenden Schritten über den unterbrochenen Dammweg dem Festland zustrebte. Dicht neben Kelderek stand die Tuginda, ihre Augen gegen die Sonnenstrahlen abschirmend, auf einem viereckigen Steinblock im seichten Wasser. Er faßte sie am Arm, und zusammen begannen sie, Shardik quer über die Durchfahrt zu folgen.
Zweiter Teil • Gelt
17. Die Straße nach Gelt
An jenem Abend begann die ortelganische Armee unter der Führung von Ta-Kominion, die Durchfahrt zu überqueren: eine schmutzige, schreiende, einige Tausend Mann starke Horde, von der manche mit Speer, Schwert oder Bogen bewaffnet waren, manche aber nur Breithacken oder zugespitzte Pfähle trugen; einige – es waren zumeist Diener – gingen in Gruppen unter ihren zu Offizieren gewordenen Herren, andere waren bloß Saufbrüder oder Raufbolde, die mit Keule und Flasche Gesellschaft suchten, alle aber waren begierig zu marschieren und kampfbereit, alle überzeugt, daß Bekla der offenbarten Macht Gottes zum Opfer fallen müsse, durch dessen Willen sie volle Bäuche haben und sich nie wieder plagen sollten. Einige trugen improvisierte Rüstungen – ausgehöhlte Hauben aus feuergehärtetem Holz oder grobrandige, an der Brust befestigte Eisenplatten –, und fast alle hatten irgendwo an sich ein Zeichen aufgemalt oder eingekratzt, das eine entfernte Ähnlichkeit mit einem Bärenkopf aufwies.
An den gefährlichen Stellen des Dammwegs hatte Ta-Kominion zwischen eingeschlagenen Pfählen oder verankerten Flößen Seile spannen lassen, an denen die Leute sich drängten und Unfug trieben, bis ein Mann stromabwärts getrieben wurde und ertrank. Als es dunkel wurde, begannen die noch am Inselufer gebliebenen Männer zu trinken und zu singen, während sie auf das Aufgehen des Mondes warteten; Ta-Kominions Gefolgsleute durchsuchten ein letztes Mal die Stadt, um noch all diejenigen zu sammeln, die sich nicht entschließen konnten oder meinten, sie könnten, wenn sie fortgingen, mehr verlieren als gewinnen.
Am Festlandufer sammelten sich andere Gruppen aus den umliegenden Gebieten: eine Gruppe Forst- und Holzarbeiter mit ihren Äxten, Zuschlaghämmern und Brecheisen; ein Baron namens Ged-la-Dan, dessen Vermögen von dem farbigen Quarz – Topas und Aquamarin – stammte, nach dem seine Leute in Felsbuchten stromabwärts tauchten; und ein Händler mit seinen Trägern, die eben mit einer Ladung Eisenerz von ihrer Handelsniederlassung in Gelt zurückkehrten und die so tüchtig waren, sich bei den
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