Sheila Levine ist tot und lebt in New York (German Edition)
nicht die Schuhe schnüren –, ging es zu seinem Vater und erzählte ihm das.
Er hob an: »Sheila?«
Ich war den Tränen nahe. Mein Vater hat das immer so gemacht. Erinnerst du dich, Dad, als ich fünf war und dich heiraten wollte, Dad? Mein Ödipus-Komplex. Oder Elektra-Komplex? Warum hast du mich nicht geheiratet, Dad? »Warum kann ich dich nicht heiraten, Daddy?« … »Weil ich schon verheiratet bin, Sheila.« … »Wenn ich groß bin, heirate ich dich …« … »Gib Daddy einen Schmatz.«
»Sheila? Ich rede mit dir.«
»Tut mir leid.«
»Deine Mutter ist außer sich.«
»Tut mir leid, dann ist sie eben außer sich. Ich frage mich, warum.«
»Deine Mutter liebt dich. Sie will dein Bestes.« Aha! Mein Lieber, das eine ergibt sich nicht unbedingt aus dem anderen.«
»Ich liebe sie auch. Ich will mir doch nur eine eigene Wohnung suchen. Was ist daran so schlimm? Alle anderen suchen sich doch auch ihre Wohnungen.«
»Alle anderen interessieren mich nicht. Mich interessierst nur du.« (Wie damals, als ich fünfzehn war: »Aber, Daddy, keiner hat den Test bestanden. Die ganze Klasse hat ihn verhauen.« … »Die ganze Klasse interessiert mich nicht, mich interessierst nur du.«)
»Wenn dir wirklich was an mir liegt, würdest du mich gehen lassen, wohin ich will.«
»Ich kann dich nicht daran hindern. Du bist eine erwachsene Frau. Ich wollte mit dir nur über Dinge sprechen, die mir Sorgen machen.« Du hast also gelogen … erst hast du gesagt, Mutter hätte dich geschickt. Du wolltest aber selbst kommen.
»Dad, mir gefällt die Wohnung. Tut mir leid.«
»Tu mir einen Gefallen. Lass dich mit S. Levine ins Telefonbuch eintragen. Man weiß nie, in dieser Stadt wimmelt es nur so von Perversen. Manche Männer rufen junge Frauen an, um ihnen übers Telefon schmutziges Zeug zu erzählen. Hör also auf deinen Vater und schreib S. Levine. Dann wissen sie nicht, ob du ein Mann oder eine Frau bist.« Sie wissen es, Dad. Es sind immer Mädchen mit hysterischen Vätern, die nur den Anfangsbuchstaben ihres Vornamens preisgeben.
Er geht. Und ich bin voller Schuldgefühle. Schuldgefühle meiner Mutter gegenüber, Schuldgefühle meinem Vater gegenüber und Schuldgefühle, weil ich am liebsten eine Waise wäre. »Nein, nein … du musst noch im Waisenhaus bleiben. Du bist erst einundzwanzig.«
Am nächsten Morgen. Klingelingeling.
»Hallo.«
»Hallo, Sheil?«
»Ja, Linda?«
»Ja.«
Schweigen … Schweigen … Schweigen.
»Sheil, meine Mutter regt sich tierisch auf. Sie mag die Gegend nicht, in die wir ziehen wollen.« Auf dem Gesicht meiner Mutter erschien ein Grinsen. Mom, wie hast du das erraten? Ich werde nicht mehr lange leben, sag mir, woher wusstest du das?
»Ja, ich verstehe.«
»Mein Vater hat diesen Bekannten, Harry Lipschutz, angeblich der beste Rechtsanwalt weit und breit, er könnte uns wieder aus dem Vertrag rauskriegen.«
»Was sollen wir machen?« Was für eine Frage. Was konnten wir mit zwei Müttern und zwei Rechtsanwälten, den besten von ganz Amerika, im Nacken schon machen?
»Ich weiß nicht. Was denkst du?«
»Ich weiß auch nicht.« Ich weiß es nicht, weil mir noch nie diese Frage gestellt wurde. »Liegt dir viel an der Wohnung?«
»Nein, diese ganzen Nischen. Warum?« Weil es um deine Freiheit geht. Die Freiheit, selbst Entscheidungen zu treffen, darum, Linda.
»So viel liegt mir auch wieder nicht daran.«
Oh, Linda, warum hast du nicht mehr Stärke bewiesen. Und warum war ich nicht stärker? Wäre ich dort eingezogen, sähe mein Leben wahrscheinlich anders aus. Auf jeden Fall wäre es nicht ganz so kurz.
Und so kam es, dass zwei unentschlossene jüdische Mädchen es zuließen, dass ihre allmächtigen Mütter mit Hilfe der besten Rechtsanwälte dieses Landes den bereits unterschriebenen Vertrag wieder annullierten. Die beiden Mütter machten sich dann auf die Suche nach einem passenden Domizil für ihre beiden Prinzessinnen. Wo sie gut aufgehoben wären. Mit Klimaanlage und Rittern in scheinender Rüstung am Tor (bekannt als Türsteher), die die Tugend ihrer Töchter beschützten.
Aber ach! Welch ein Unglück! Das Königreich war arm. Die beiden Prinzessinnen konnten sich das schöne Schloss nicht leisten, das ihre Mütter für sie ausgesucht hatten. Die Mütter versprachen ihnen Geld aus ihrer eigenen Kasse, aber die Prinzessinnen sagten: »Nein, wir müssen das selbst schaffen. Wir müssen eine weitere Prinzessin finden, mit der wir uns die Kosten teilen.« Und sie
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