Sherlock Holmes - Der Vampir von Sussex
erhebt und ihre Lippen voller Blut sind?« er schüttelte sich. »Das Kind ist sicher in der Obhut von Mrs. Mason, und dort muß es auch bleiben.«
Ein hübsches, junges Dienstmädchen, das einzige moderne Ding, das ich bisher in diesem Haus gesehen hatte, brachte den Tee. Wie sie uns noch bediente, öffnete sich die Tür und ein Junge kam herein. Es war ein seltsamer Knabe, sehr blaß und mit blonden Haaren, mit leicht erregbaren blauen Augen, die in einer plötzlichen Freude aufblitzten, als er seinen Vater sah.
Er stürzte auf ihn zu und hängte sich ihm an den Hals, wie ein zärtliches kleines Mädchen es gemacht haben würde.
»Oh Pappi«, rief er, »ich habe nicht gewußt, daß du schon da bist. Sonst wäre ich hier gewesen, um dich zu begrüßen. Oh, ich bin so froh, daß du wieder da bist! «
Ferguson machte sich sanft frei. Ihm schien die heftige Umarmung ein klein wenig peinlich zu sein.
»Mein lieber, alter Junge«, sagte er und tätschelte den blonden Schopf des Knaben sehr liebevoll. »Ich bin so früh gekommen, weil meine Freunde, Mr. Holmes und Dr. Watson, sich haben überreden lassen, den Abend mit uns zu verbringen. «
»Ist das Mr. Holmes, der Detektiv?«
»Ja.«
Der Junge sah uns mit einem durchdringenden und, wie mir schien, unfreundlichen Blick an.
»Und Ihr zweites Kind?« fragte Holmes. »Dürfen wir auch Ihr Baby sehen?«
»Bitte Mrs. Mason, das Baby herunterzubringen«, sagte Ferguson. Der Junge machte sich mit einem seltsam schlurfenden Gang auf den Weg. Mein ärztliches Auge sah, daß er unter einer Rückgratschwäche litt. Bald darauf kam er in Begleitung einer großen, hageren Frau zurück, die ein wunderschönes Baby in ihren Armen hielt. Das Kind hatte dunkle Augen und goldene Haare, eine herrliche Mischung aus nordischem und südländischem Blut. Ferguson schien sein Kind zu lieben. Er nahm es in seine Arme und wandte sich ihm sehr zärtlich zu.
»Sich bloß vorzustellen, daß jemand ihm etwas anhaben möchte!« murmelte er. Er wies auf einen kleinen, häßlichen Fleck am Hals des kleinen Engels hin.
In diesem Augenblick warf ich einen Blick auf Holmes. Ein Ausdruck großer, ungeteilter Konzentration war in seinem Gesicht, das wie aus altem Elfenbein geschnitzt zu sein schien, und seine Augen, die einen Augenblick Vater und Sohn betrachtet hatten, waren nun mit gro-
ßer Neugier auf etwas gerichtet, das sich auf der anderen Seite des Zimmers befand. Ich folgte seinem Blick und konnte nur ahnen, daß er zum Fenster hinaus in den melancholischen, re-gennassen Garten starrte. Die Läden waren zwar halb geschlossen und im Garten war nicht viel zu sehen, aber ich war mir trotzdem sicher, daß Holmes Blick von dem Fenster angezogen war. Dann lächelte er und seine Augen kamen zurück zu dem Baby. An seinem niedli-chen, kleinen Hals war dieses geschwollene Zeichen. Ohne zu reden examinierte Holmes es sehr sorgfältig. Schließlich nahm er die kleine Faust des Kindes und schüttelte sie.
»Wiedersehen, kleiner Mann. Du hast einen holperigen Start ins Leben genommen. Schwester, ich hätte gerne ein paar Worte privat mit Ihnen gesprochen. «
Er nahm sie zur Seite und sprach eine Weile sehr ernst mit ihr. Ich verstand nur die letzten Worte: »Ihre Ängste dürfen bald zur Ruhe kommen.« Die Frau schien von saurer, schweigsamer Natur zu sein. Sie nickte und zog sich mit dem Kind zurück.
»Was für ein Mensch ist Mrs. Mason?« fragte Holmes. »Äußerlich nicht sonderlich fröhlich, wie Sie wohl gesehen haben, aber sie hat ein goldenes Herz und sie liebt das Kind sehr. «
»Magst du sie, Jack?« wandte sich Holmes plötzlich an den Jungen. Der Ausdruck des lebendigen Gesichtes überschattete sich und er schüttelte seinen Kopf.
»Jacky hat sehr starke Gefühle, ob er nun jemanden mag oder nicht mag«, sagte Ferguson und legte seinen Arm um den Jungen. »Zum Glück bin ich jemand, den er liebt.«
Der Junge kuschelte seinen Kopf an die Brust des Vaters. Ferguson schob ihn sanft zu Seite.
»Geh und spiel ein bißchen, Jacky«, sagte er und sah seinen Sohn mit liebenden Augen an, bis er verschwand. »Nun, Mr. Holmes«, fuhr er fort, als der junge gegangen war. Ich bin Gewiß, daß Sie jetzt auch nichts weiter tun können, als mir Ihr Mitgefühl zu geben. Etwas anderes können Sie sicherlich nicht für mich tun. Aus Ihrer Sicht muß es sich um eine sehr delikate und komplexe Angelegenheit handeln.«
»Gewiß ist es sehr delikat«, sagte mein Freund mit einem amüsierten Lächeln,
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