Sherlock Holmes - Der Vampir von Sussex
zu-rückgeblieben, wenn ich das Haus verlassen hätte.«
»So, Miß Dunbar, und nun erzählen Sie uns einmal ganz genau, was an jenem Abend stattgefunden hat.«
»Ich kann Ihnen die Wahrheit nur insoweit sagen, Mr. Holmes, als ich sie selber kenne. Aber die wichtigsten Punkte verstehe ich selber nicht und kann mir auch keine Erklärung vorstellen.«
»Sie werden uns die Tatsachen berichten, dann werden vielleicht andere die Erklärungen finden.«
»Was mich also an diesem Abend an die Thor Bridge gebracht hat, war ein Brief von Mrs.
Gibson, den sie mir am Morgen geschrieben hatte. Er lag auf meinem Tisch im Schulzimmer und mir schien, als wenn sie selbst ihn mir hingelegt hatte. Sie bat mich, Sie nach dem Essen zu treffen, da sie mir etwas Wichtiges mitzuteilen hätte. Sie bat, eine Antwort auf der Son-nenuhr im Garten zu hinterlassen, denn sie wollte nicht, daß jemand Zeuge der Sache sein würde. Ich sah zwar keinen Grund für diese Geheimnistuerei, tat aber, wie sich mich gebeten hatte. Sie hatte mich gebeten, ihren Brief zu vernichten, und so verbrannte ich ihn im Kamin im Schulzimmer. Sie hatte große Angst vor ihrem Mann, der sie sehr hart und kalt behandelte.
Ich habe ihm das oft vorgehalten. Ich konnte mir nur denken, daß sie wieder Angst vor ihm hatte und nicht wollte, daß er von unserer Unterredung erfuhr.«
»Und doch hat sie Ihre Antwort sehr sorgfältig aufbewahrt.«
»Ja, das hat mich auch überrascht. Sie hatte sie in der Hand, als sie starb.«
»Ja. Und was passierte dann?«
»Ich ging, wie ich versprochen hatte, zu der Verabredung. Sie erwartete mich schon an der Brücke. Und bis zu dem Augenblick hatte ich keine Ahnung, welches Ausmaß der Haß der armen Frau auf mich hatte. Sie benahm sich wie eine Verrückte - tatsächlich, ich glaube, sie war wirklich etwas derangiert, und fähig Leute zu täuschen, wie Verrückte sie manchmal haben. Wie hätte sie mir sonst täglich ganz gleichgültig begegnen und doch einen rasenden Haß gegen mich im Herzen haben können? Ich will nicht wiederholen, was sie gesagt hat. Sie ließ ihrer ganzen furchtbaren, brennenden Wut in den scheußlichsten Anschuldigungen freien Lauf. Ich habe ihr nicht einmal geantwortet - das konnte ich nicht. Es war furchtbar genug, sie überhaupt anzusehen. Ich habe mir mit beiden Händen die Ohren zugehalten und bin davo n-gerannt. Ich hörte noch, wie sie ihre Flüche hinter mir her schrie. «
»Wo wurde sie hinterher gefunden?«
»Ein paar Meter von der Stelle entfernt.«
»Und doch, wenn wir annehmen, daß sie kurz nach diesem Zusammentreffen zu Tode gekommen ist, haben Sie keinen Schuß gehört? «
»Nein, ich habe nichts gehört. Aber wirklich, Mr. Holmes, ich war so erregt und erschrocken über diesen entsetzlichen Ausbruch, daß ich an nichts dachte, als in den Frieden meines Zimmers zurückzugelangen. Ich war nicht mehr in der Lage, irgend etwas anderes wahrzune hmen, was immer auch geschehen sein mochte.«
»Sie sagen, daß Sie in Ihr Zimmer zurückgekehrt sind. Haben Sie es vor dem nächsten Morgen wieder verlassen?«
»Ja, als ich hörte, daß die arme Frau zu Tode gekommen war, da bin ich mit den anderen he r-ausgerannt. «
»Haben Sie Mr. Gibson gesehen?«
»Ja, ich sah ihn, als er von der Brücke zurückkam. Er hatte nach der Polizei und dem Arzt geschickt.«
»Machte er einen sehr verstörten Eindruck?«
»Mr. Gibson ist ein starker und sehr kontrollierter Mann. Ich glaube nicht, daß er an der Oberfläche Emotionen zeigen würde. Aber ich, die ihn so kannte, bemerkte schon, daß er sehr be-troffen war. «
»Dann kommen wir jetzt zu dem wichtigsten Punkt. Die Pistole wurde in Ihrem Zimmer gefunden. Haben Sie sie jemals vorher gesehen?«
»Nein, niemals, das schwöre ich.«
»Wann wurde sie gefunden?«
»Am nächsten Morgen, als die Polizei ihre Durchsuchung machte.«
»Zwischen ihren Kleidern?«
»Ja, in meinem Schrank unter meinen Kleidungsstücken.«
»Sie wissen nicht, wie lange sie dort gelegen haben könnte?«
»Am Morgen davor war sie noch nicht dagewesen. «
»Wie wissen Sie das?«
»Weil ich meinen Schrank aufgeräumt habe.«
»Dann ist das klar. Dann ist jemand in Ihr Zimmer eingedrungen und hat sie dort versteckt, um Sie anzuschuldigen. «
»Ja, so muß es sic h verhalten haben.«
»Und wann?«
»Es hätte in den Essenszeiten sein können oder aber zu den Stunden, wenn ich mit den Kin-dern im Schulraum war.«
»Wo sie auch waren, als sie den Brief empfingen.«
»Ja, von dem
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