Sherlock von Schlotterfels 06 - Ein Gespenst unter Verdacht
tonlos.
„Entschuldigung“, sagte Paula und rannte aus dem Wohnzimmer. Sie schämte sich so sehr wegen ihrer Gedanken. Beinahe wäre sie mit Frau Hagedorn zusammengestoßen, die gerade im gesteppten Morgenmantel im Türrahmen aufgetaucht war.
„Warum hast du es denn so eilig?“, wunderte sich die Haushälterin, als Paula wie ein Pfeil an ihr vorbeischoss. Kopfschüttelnd schaute sie ihr hinterher. „Habt ihr euch gestritten?“ Dann sah sie Max, der wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa hockte. „Hier ist jetzt auf jeden Fall Ende der Veranstaltung, Max! In fünf Minuten komme ich euch Gute Nacht sagen!“ Damit machte die Haushälterin auf dem Absatz kehrt und ihre Schritte entfernten sich auf dem Flur.
„Sapperlot noch eins, bin ich vielleicht froh, dass ich ein Gespenst bin!“, säuselte Sherlock Max ins Ohr, als er mit Lilly auf dem Arm zu ihm herüberschwebte. „Wenn es dir zu bunt wird mit eurer strengen Magd, biete ich dir gern mein Geheimzimmer als Unterschlupf an. Wir müssen doch zusammenhalten!“
„Gute Nacht, Freiherr von Schlotterfels!“, murmelte Max nur und erhob sich.
„Wünsche wohl zu ruhen. Auf morgen!“, verabschiedete sich das Gespenst und schwebte mit Lilly durch die Wand.
„Auf morgen!“, flüsterte Max und schaute noch lange die Wand an, durch die seine Gespensterfreunde entschwunden waren. Sie waren doch seine Freunde, oder?
Sorglos schwebte das Gespenst durch das Schloss. Es war noch lange nicht müde und vor allem nicht gewillt, vor Einbruch der Dunkelheit sein Geheimzimmer aufzusuchen. Also spazierte es, begleitet von Lilly, ein wenig durch Schloss und Park und lauschte dem Quaken der Frösche. Dabei versank es in seinen Erinnerungen an längst vergangene Tage, als es so alt gewesen war wie Max oder Paula und gemeinsam mit seiner Schwester Theresia durch den Park getobt war und im Schloss Verstecken gespielt hatte. Freiherr von Schlotterfels ließ sich auf den Stufen des Brunnens nieder und schaute sehnsüchtig zu Paulas und Max’ Zimmerfenstern hinauf, in denen Licht brannte.
Langsam brach die Nacht herein und die Bäume im Park warfen im Mondlicht lange Schatten. Fledermäuse schwirrten durch die Luft.
„Ach weißt du, Lilly“, seufzte der Freiherr und stützte das Kinn auf die rechte Hand, „was können wir uns glücklich schätzen, dass ausgerechnet Max und Paula in unser schönes Schloss gezogen sind.“
In Max’ Zimmer wurde es dunkel und kurz darauf schaltete auch Paula ihre Nachttischlampe aus. Dann ging in Dr. Kuckelkorns Zimmer das Licht an und Sherlock sah den Museumsdirektor durch sein Zimmer gehen und am Schreibtisch Platz nehmen.
„Ich glaube, nein, ich bin mir absolut sicher, dass Max und Paula die besten Freunde sind, die wir jemals hatten“, schwärmte Sherlock. Lilly bellte bestätigend.
Der Nachtwind strich Sherlock durch die jahrhundertealten Perückenlocken. Als er sich nach einer Weile erhob, klopfte er sich den Sand von den langen Jackettschößen und der Kniebundhose. Plötzlich nahm Sherlock aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Blitzartig suchte er hinter dem Springbrunnen Deckung und schielte um das Wasserbecken herum. Seine Schnurrbartspitzen zitterten vor Aufregung. In der Bibliothek blitzte der Lichtschein einer Taschenlampe auf.
„Grundgütiger!“, zischelte das Gespenst. „Nicht schon wieder!“ Das Licht bewegte sich durch die Bibliothek. Jetzt verharrte es und tanzte auf der Stelle.
„Sapperlot noch eins!“, jammerte Sherlock, kniff die Augen zu und presste sich die Hände auf die Ohren.
Es war ihm egal, wie sehr Lilly an seinen Manschetten zerrte, diesmal würde er sich bestimmt nicht von der Stelle bewegen! Nach einer Weile, die dem Gespenst wie eine Ewigkeit vorgekommen war, wagte es einen vorsichtigen Blick über den Beckenrand. Das Licht war erloschen. Stattdessen spiegelte sich der Schein des Mondes in den Fensterscheiben der Tür zur Bibliothek. Sie stand offen und quietschte im Wind. Ein paar Regentropfen fielen vom dunklen Himmel herab.
Ein Gespenst unter Verdacht
Die Türklingel schrillte. Paulas Augen schossen zur Badezimmeruhr. Noch nicht mal halb sieben. Viel zu früh für einen Besuch an einem Dienstagmorgen. Oder war Professor Steinbrecher die nächste Gemeinheit eingefallen, die er unbedingt noch vor dem Frühstück loswerden musste? Schnell trocknete sich Paula das Gesicht am Handtuch ab und raste in ihr Zimmer, um sich anzuziehen. Jemand klingelte unterdessen Sturm.
Während Paula sich das
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