Sherry Thomas
frisiert.«
Camden schaute aus dem Fenster
hinaus auf den Park hinter dem Haus. »Kein Grund zur Eile, mach nur alles ganz
in Ruhe. Ich habe der Dienerschaft für heute freigegeben. Wir reisen nicht
ab.«
»Aber du kommst jetzt schon zu spät
zu deinen Seminaren.« Sie zog die Bürste durchs widerspenstige Haar. »Der
nächste Zug verlässt Bedford erst um halb zwei. Da haben wir noch viel
Zeit.«
Seine Lippen verzogen sich zu etwas wie
einem Lächeln. »Bestimmt habe ich mich ungenau ausgedrückt. Ich werde
tatsächlich abreisen.«
Bei einem Familientreffen vor vielen
Jahren hatte einer ihrer Cousins ihr genau im dem Augenblick, als sie sich
setzen wollte, den Stuhl weggezogen. Obwohl sie nicht tief gefallen war, hatte
sie sich dabei doch ziemlich wehgetan.
Genauso fühlte sie sich gerade:
verletzt und durcheinander gleichermaßen. »Bitte? Ich verstehe dich
nicht.«
»Ich wollte mich nur verabschieden,
bevor ich das Haus verlasse.« Er sagte das mit einer solchen Seelenruhe,
als ginge es gerade nicht darum, dass er sie am Tag nach der Hochzeit zu
verlassen gedachte – nach der großartigsten Hochzeit aller Zeiten!
»Was?«, rief sie ungläubig,
viel zu überrascht, um klar zu denken.
Er schaute sie an. In seinen Augen
lag ein merkwürdiges, beängstigendes Leuchten, das sie nicht zu deuten wusste.
»Hatten wir nicht immer vor, getrennte Wege zu gehen, sobald die Ehe vollzogen
ist? Wir wollten uns doch lediglich wieder treffen, wenn ich einen Erben wünsche.«
»Was ... was wird aus unserem
Empfang?« Wie scheußlich erstaunt und hilflos sie klang. Sie begriff
einfach nicht, wie er in der Nacht derart liebevoll und zärtlich hatte sein
können und nun tat, als ginge es hier lediglich um eine Vernunftehe. Weshalb
hatte er sie während ihrer Verlobungszeit dann jeden Tag besucht? Weswegen
Pläne für ihre gemeinsame Zukunft geschmiedet? Und der glit zernde
Verlobungsring an ihrem Finger? Krösus?
»Es wird keinen Empfang geben«,
erklärte er.
»Aber wir haben doch schon die
Menüfolge besprochen und die Weine ausgesucht ...« Tief holte sie Luft. Hör
auf, hör auf, so dumm daherzuplappern.
Auf einmal ergriff sie furchtbarer
Zorn. Er hatte sie zum Narren gehalten. Ihm war es immer nur um ihr Geld gegangen.
All die schönen Stunden, die er mit ihr verbracht hatte, waren ausschließlich
dazu gut gewesen, sie an ihn zu binden, damit sie sich nicht doch noch einen
anderen Mann suchte. Wütend knallte sie die Bürste auf den Schminktisch.
»Ehrlich gesagt, siehst du mich
erstaunt. Ich war davon ausgegangen, dass wir nach unserer Heirat zusammenleben.
Meine Mutter und ich haben ein Vermögen ausgegeben für unsere Wohnung in Paris
samt dazugehörigem Personal und um die Möbel dorthin zu verschiffen ...«
Sie brachte es nicht über sich, den Érard-Flügel zu erwähnen, den sie für ihn
bestellt hatte. »Jedenfalls habe ich einige sehr wichtige Entscheidungen in der
Annahme getroffen, dass ich dir vertrauen kann.«
Geduldig lauschte er ihren
Vorwürfen. Dann ging er zum Schminktisch und ergriff eine Porzellanfigur, die
darauf gestanden hatte. Eigentlich rechnete sie fest damit, dass er sie ihr
entgegenschleudern würde. Doch er stellte die Figur leise wieder zurück. »Du
warst also ehrlich und vertrauensvoll mir gegenüber?«
Sie öffnete den Mund, brachte
angesichts seines finsteren Gesichtsausdrucks aber kein Wort heraus. Bisher
hatte sie nicht einmal geahnt, dass er einen Menschen so ansehen konnte und
schon gar nicht sie. Dies war der Blick des Mörders Achill, bevor er Hektor
erschlug, ein blutrünstiger Blick.
Es machte ihr nur noch mehr Angst,
dass er ansonsten gefasst und beherrscht wie stets wirkte.
»Ich ... ich weiß nicht, wovon du
sprichst.«
»Nicht? Das überrascht mich. Hast du
deine Intrigen denn etwa
schon vollkommen vergessen?«
Sie glaubte fast, wirklich zu hören,
wie ihr Glück in sich zusammenstürzte, dieses großartige Traumschloss, das sie
auf Treibsand gesetzt hatte. Verzweifelt versuchte sie, gegen das Entsetzen
anzukämpfen und sich nicht davon überwältigen zu lassen.
»Weißt du, was ich wirklich gern
wüsste? Wo hast du einen Fälscher aufgetrieben? Hast du dich in irgendwelche
Verbrecherspelunken gewagt, oder finden sich solche Leute auch in
Bedfordshire?«
»Mein Wildhüter in Briarmeadow hat
früher einmal damit sein Geld verdient«, antwortete sie leise. Kaum hatte
sie es ausgesprochen, begriff sie, dass sie damit auch seine letzten Zweifel
zerstreut
Weitere Kostenlose Bücher