Shoal 01 - Lichtkrieg
Druckluftverhältnisse anzupassen, die im Inneren des Wracks herrschen«, erwiderte Kieran. »Eine Gasembolie brauchen Sie also nicht zu befürchten. Außerdem ist der Mond, auf dem wir das Schiff fanden, ziemlich klein und hat eine geringe Schwerkraft. Dementsprechend niedriger dürfte der atmosphärische Druck sein, selbst unter einer kilometerdicken Schicht aus Wasser und Eis.«
»Ich muss also nichts weiter tun, als an Bord des echten Wracks zu gehen, ein paar Kommandos einzutippen, herauszubekommen, wie man das Ding steuert, und schon sind wir wieder weg. Richtig?«
Schweigen.
»Ich spüre, dass Sie mir etwas verheimlichen«, sagte Corso in die leere Luft. »Und was immer es ist, ich schätze, es wird mir nicht gefallen.«
»Frühere Versuche, tiefer in das Wrack einzudringen, wurden … verhindert. Wir mussten ein paar automatische Verteidigungssysteme ausschalten, um die Interfaces einzurichten, die Sie vor sich sehen. Mehrere Menschen kamen dabei ums Leben. Trotz aller Anstrengungen ist uns nur ein begrenzter Zugang zu den Hauptsystemen des Wracks gelungen. Einen Weg zu finden, dieses Schiff tatsächlich zu fliegen, es steuern zu können – nun ja, das ist eine ganz andere Sache.«
»Richtig.« Corso hievte sich schwerfällig in den neu installierten Interface-Sessel und studierte die vor ihm angebrachten Displays. Auf einem Schirm bemerkte er eine Folge von vertraut aussehenden Glyphen, die in einer Reihe angeordnet waren. »Diese Zeichen kenne ich.«
»Veraltete Shoal-Protokolle. Nach den uns vorliegenden Informationen wurden sie nicht mehr verwendet, seit …«
»Seit den Anfangen der Shoal-Hegemonie – zumindest steht dies in ihren eigenen Aufzeichnungen«, beendete Corso den Satz. Plötzlich machte sich in seinem Kopf ein Gefühl von Euphorie breit. Er berührte eine Glyphe nach der anderen und sah, wie Untermenüs auftauchten. »Und diese Glyphen befinden sich auf einem Schiff, das vielleicht schon erheblich früher konstruiert wurde, als die Shoal angeblich ihre Transluminal-Technolgie entwickelten – habe ich recht?«
»Davon gehen wir zurzeit aus.«
Corso blinzelte hektisch; ein Gefühl der Erregung packte ihn. Ein uraltes Raumschiff, das im Nu die gewaltigen Entfernungen zwischen den Sternen überbrücken konnte, obwohl es nicht von den Shoal gebaut worden war. Offenbar hatten die Shoal keine Ahnung von der Existenz dieses Wracks, andernfalls hätten sie niemals zugestimmt, die Hyperion an die Fundstelle zu befördern.
»Sie verstehen sicher, was das bedeutet«, meinte Kieran.
»Alles wird anders.« Corso nickte, und in seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken, während er die Interfaces in Augenschein nahm.
Senator Arbenz’ Forscher hatten in den am wenigsten geschützten Datenspeichern des Wracks einen außerirdischen Stein von Rosette entdeckt. Wie es sich herausstellte, besaß das Schiff Dual-Systeme, die eine Kommunikation zwischen ihren eigenen Computern und denen der Shoal gestatteten. Wenn er diese Kommunikationsprotokolle analysierte – hierin war Corso ein Experte –, konnte er herausfinden, wie man sich mit dem Wrack verständigte, die Voraussetzung dafür, dass es sich steuern ließe.
Aber das würde Zeit in Anspruch nehmen – viel Zeit. Bis zu dem Rendezvouspunkt, an dem sie den verhassten Arbenz an Bord nehmen würden, vergingen Wochen; und die Reise zu dem abgeschiedenen System, in dem sich das Wrack befand, dauerte auch noch eine ganze Weile. Doch er war sich alles andere als sicher, ob ihm die Entschlüsselung binnen dieser Frist gelingen würde.
Er dachte an Prometheus, der das Feuer von den Göttern stahl und dafür bis in alle Ewigkeit bestraft wurde. Die Shoal waren keine Götter, aber was ihren Wissensvorsprung und ihre Macht betraf, so kamen sie diesem Status recht nahe.
Corso lehnte sich zurück und dachte laut nach. »Was ist, wenn wir ertappt werden?«
»Ertappt?« Kierans Stimme troff vor Hohn. »Wir gehören der Freien Demokratischen Gemeinschaft an und sind demnach allen anderen Zivilisationen im vom Menschen besiedelten Raum überlegen. Wir werden nicht versagen.«
Sofort fielen Corso die Uchidaner ein und welche Anstrengungen es kostete, sie immer wieder zurückzuschlagen – und das auf einer Welt, die früher ausschließlich der Freien Demokratischen Gemeinschaft gehört hatte.
»Jeder weiß, was passiert, wenn wir uns Technologien aneignen, die die Shoal uns verwehren«, beharrte er. »Sämtliche Kolonisierungsverträge werden widerrufen
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