Shogun
Erdrückt ihn doch nicht!«
Irgend jemand drückte Blackthorne einen hölzernen Trinkbecher in die Hand. Er setzte sich auf den Schaukelstuhl, alle hoben sie ihre Becher, und dann ging eine Flut von Fragen über ihn hernieder …
Der Raum war mit Bänken, ein paar roh zusammengezimmerten Stühlen und Tischen ausgestattet, die von Kerzen und Öllampen erhellt wurden. Ein riesiges Saké-Faß stand auf dem dreckigen Boden. Einer der Tische war voll von schmutzigen Tellern, einem noch halb rohen mächtigen Stück Fleisch, auf dem Fliegen saßen.
Sechs in verschmutzte Kimonos gehüllte Frauen kauerten mit dem Rücken zur Wand auf den Knien und verneigten sich vor ihm.
Alle seine Männer warteten darauf, daß er anfangen würde zu erzählen: Sonk, der Smutje, Johann Vinck, Erster Steuermann und Oberkanonier, Salamon, der Stumme, Croocq, der Moses, Ginsel, der Segelmacher, Baccus van Nekk, Schatzmeister und Oberster der Kaufleute, und schließlich Jan Roper, der andere Kaufmann, der wie immer abseits saß, immer noch das gleiche säuerliche Lächeln auf dem hageren, verkrampften Gesicht.
»Wo ist denn der Generalkapitän?« fragte Blackthorne.
»Tot, Pilot, er ist tot …« Sechs Stimmen antworteten und überschlugen sich in dem Versuch, ihm die Geschichte zu erzählen, bis er abwehrend die Hand hob. »Baccus?«
»Er ist tot. Er hat es nicht mal mehr geschafft, aus der Grube rauszukommen. Wißt Ihr noch, daß er krank war? Nachdem sie Euch weggebracht hatten, na ja, in der Nacht hörten wir ihn in der Dunkelheit würgen. Stimmt's, Jungs?« Ein Chor von »Ja, ja, ja« folgte, und dann fügte van Nekk hinzu: »Ich hab' neben ihm gesessen, Pilot. Er versuchte, ans Wasser ranzukommen, aber das war alle, und er würgte und stöhnte. Was eigentlich damals geschehen ist, weiß ich nicht mehr so genau … wir hatten ja alle eine Todesangst … aber zuletzt bekam er wohl keine Luft mehr, und da setzte das Todesröcheln ein. Schlimm war das, Pilot.«
Blackthorne schüttelte es.
»Sie haben ihn zusammen mit dem anderen in der Grube zurückgelassen, dem Japs … Ihr erinnert Euch? Dem, der versuchte, sich in dem Eimer mit Pisse zu ertränken? Später ließ dann Herr Omi Spillbergens Leiche rausholen, und sie haben ihn verbrannt … Aber das andere arme Luder haben sie einfach unten liegen lassen. Herr Omi gab ihm nur einen Dolch, und da hat er sich seinen gottverfluchten Bauch aufgeschlitzt, und sie haben die Grube zugeworfen. Ihr erinnert Euch noch an ihn, Pilot?«
»Ja. Und was ist mit Maetsukker?«
»Das erzählst besser du, Vinck.«
»Das kleine Rattengesicht ist einfach bei lebendigem Leibe verfault, Pilot«, begann Vinck, und die anderen riefen dazwischen und begannen ihrerseits zu erzählen, bis Vinck laut sagte: »Baccus hat mich gefragt, verdammt noch mal! Ihr kommt doch alle an die Reihe.«
Die Stimmen erstarben, und Sonk sagte aufmunternd: »Erzähl du, Johann.«
»Pilot, sein Arm war's, der zuerst brandig wurde. Er hatte doch im Kampf was abgekriegt … Ihr entsinnt Euch an den Kampf, in dem Ihr das Bewußtsein verlort? Mein Gott, wie lange das her ist! Na, wie dem auch sei, sein Arm fing jedenfalls an zu schwären. Am nächsten und übernächsten Tag hab' ich ihn zur Ader gelassen, und dann fing der Arm an schwarz zu werden. Ich sagte ihm, es wär' wohl besser, ich würd' ihm die Vene öffnen … aber er wollte nichts davon hören. Am fünften Tag fing die Wunde an zu stinken. Wir hielten ihn fest, und schnitten den größten Teil von dem fauligen Fleisch weg, aber das nützte nichts. Der Affen-Doktor kam ein paarmal, aber er konnte auch nichts tun.«
»Und was ist mit seiner Leiche passiert?« fragte Blackthorne.
»Die haben sie auch den Hügel raufgebracht und dort verbrannt. Wir wollten ihm und dem Generalkapitän zwar ein richtiges christliches Begräbnis bereiten, aber das wollten sie nicht zulassen. Sie haben sie einfach verbrannt.«
Schweigen legte sich über sie. »Ihr habt ja noch gar nichts getrunken, Pilot.«
Blackthorne hob den Becher an die Lippen und kostete. Der Becher war schmutzig, und beinahe hätte er sich übergeben. Der Gestank ungewaschener Körper und verschwitzter, verdreckter Kleider war fast zuviel für ihn.
»Wie ist der Grog, Pilot?« fragte van Nekk.
»Gut, gut.«
»Erzähl's ihm, Baccus, mach schon!«
»Ja, Pilot, ich hab' 'ne Schnapsbrennerei gebaut.« Van Nekk war sehr stolz, und auch die anderen strahlten. »Jetzt stellen wir den Schnaps faßweise her. Reis und
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