Sie haben sich aber gut gehalten!
getan», behauptet Lotte frech und wechselt geschickt das Thema. «Die Schnittchen sind fertig!»
Fabian schnappt sich die Platte und trottet davon.
«Und ich?», fragt Charlie.
«Und du!», fahre ich ihn an, denn jetzt platzt mir endgültig der Kragen. «Du zisch ab zu deinem Erzeuger. Der ist ja schließlich Mediziner – irgendwie.»
Charlie zieht die Schultern hoch und schlurft betont langsam ab.
Lotte blickt mich strafend an. «War das nötig?»
«Dein Liebling lebt ja noch», antworte ich ungerührt. «Aber wenn du mir jetzt nicht gleich sagst, was Volker hier will, kann ich für nichts mehr garantieren.»
Sie dreht sich weg und huscht zur Arbeitsfläche, wo sie die Lebensmittel einsammelt und in die Frischhaltedosen sortiert.
«Er hatte Streit mit Ruth.» Die Worte kommen so leise aus ihrem Mund, dass sie kaum zu verstehen sind.
Streit mit der jungen Geliebten!? Erst vor kurzem hat er noch betont, Ruth sei seine Seelenverwandte, die seine geheimsten Wünsche erahne und seinen Beruf verstehe. Sie wisse, was Inlays sind, und glaube nicht, es handle sich um eine neue Art von Geldanlage. Gleichklang auf allen Gebieten. Harmonie in Reinform, sozusagen. Und jetzt, alles aus? Ende? Vorbei? Ich brauche einen Augenblick, um die sensationelle Neuigkeit zu begreifen. Doch dann kapiere ich: Ruth hat ihn aus der Wohnung geschmissen!
«Aha, dann ist das also sein Koffer im Flur», sage ich und funkle sie wütend an. «Will er etwa zurück in den Schoß der Familie flüchten?» Ein liebeskranker Exmann im Haus fehlt mir noch in dieser verrückten Nacht.
Lotte stemmt die Gummi-Hände in die Hüften. «Das Haus gehört immer noch zur Hälfte ihm.»
«Gut, dass du mich dran erinnerst», entgegne ich kühl. «In meinem Alter vergisst man ja schnell etwas.»
«Bitte, keinen Sarkasmus», verlangt Lotte und blickt mich an, als wäre sie das Familienoberhaupt und ich hier der lästige Besucher.
«Na gut», lenke ich ein. «Bleiben wir sachlich, obwohl mir das zunehmend schwerer –»
«Warum regst du dich eigentlich immer so auf, Rosy?», unterbricht sie mich. «Man könnte meinen, die Welt geht unter. Es ist doch alles in bester Ordnung. Die Familie ist zusammen, wir haben ein Dach über dem Kopf und reichlich zu essen.» Sie hält mir die Platte mit den Wurstbroten entgegen.
Ich verschränke die Arme vor der Brust. «Es mag dich verwundern, Lotte, aber ich finde es nun mal nicht normal, spätabends nach Hause zu kommen und meinem Exmann in die Arme zu laufen, der zu allem Übel wieder hier einziehen möchte. Und das alles, während ich kaum zwei Stunden weg war.» Außerdem sollte ich eigentlich in den Armen von John liegen – wenn sich die Welt nicht gegen mich verschworen hätte!
«Ich wollte nicht …», stottert sie verunsichert. «Na ja, meinen Sohn nachts auf Hotelsuche schicken. Deshalb habe ich ihm vorgeschlagen, hier zu übernachten. Ich meine, warum Geld für ein Hotelzimmer verschwenden. Das Gästezimmer im Erdgeschoss ist doch frei, und wir sind immer noch eine Familie.»
Wie könnte ich das vergessen, nachdem sie diesen Umstand ständig erwähnt und auch sonst bei jeder passenden und erst recht jeder unpassenden Gelegenheit betont. Aber ich weiß ja, wie wenig ich gegen Lotte ankomme. Und gegen das Geldverschwender-Argument gleich zweimal nicht – wo wir doch jeden Cent für die Renovierung brauchen.
«Und wo ist dann mein Vater?», erkundige ich mich.
«Herbert?» Sie versteht offensichtlich nicht, warum ich das wissen möchte.
«Na, der gehört doch auch zur Familie, oder?» Abrupt wende ich mich ab und begebe mich zum Kühlschrank. Ich brauche dringend einen Schlummertrunk, sonst werde ich kein Auge zumachen in dieser Wahnsinnsnacht mit meinem verunglückten Erotikversuch, dem nackten Exmann und dem
schwerverletzten
Kind. Lotte hat doch sicherlich etwas zum Picheln in der Kühlung. Ich entdecke eine halbe Flasche Rotwein, den sie gerne kalt trinkt wie die Spanier ihre Sangria, schnappe mir das Fläschchen und marschiere aus der Küche. An der Tür drehe ich mich nochmal um. «Und bitte, Lotte, würdest du mir vorher Bescheid geben, wenn der nächste ungebetene Gast im Anmarsch ist. Dann packe ich nämlich meine Koffer und ziehe aus!»
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A ls die Kinder noch klein waren, bekam ich zum Muttertag das Frühstück ans Bett. Kaffee und Kuchen (den wir am Vortag zusammen gebacken hatten), unzählige feuchte Kinderküsschen und liebevoll gemalte Glückwunschbildchen.
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