Sie und Er
sich wieder voll und ganz ihrer Gymnastik. Sie fragt sich, ob sie je wirklich zusammenleben können; ob es ihr gelingen kann, sich so zu verändern, dass sie seinen Erwartungen entspricht; ob sie sich besser oder schlechter fühlen würde als jetzt. Wieder klingelt das Handy; sie streckt die Hand aus, um es vom Tisch zu nehmen.
Noch einmal Stefano: »Du keuchst«, sagt er, als hätte er sie mit einem anderen im Bett überrascht.
»Ich mache Gymnastik«, sagt sie, ohne innezuhalten. »Das wusstest du doch schon.« Sie stellt die Musik nicht leiser.
»Ich wollte nur fragen, ob du wegen des Urlaubs schon was entschieden hast«, sagt er angespannt.
»Ich glaube nicht, dass ich Urlaub bekomme, das habe ich dir ja gesagt«, erwidert sie. »August ist der Monat, in dem wir am meisten zu tun haben.«
»Weil ich meiner Mutter eine Antwort geben muss«, sagt Stefano. »Immerhin hat sie uns zusammen nach Ovada eingeladen, und das will etwas heißen.«
»Ich weiß.« Sie sieht die grabmalartige Jugendstilvilla auf den piemontesischen Hügeln vor sich, wohin er sie einige Male in Abwesenheit seiner Mutter mitgenommen hatte in der heißesten Zeit seines Werbens. »Sag ihr, ich danke ihr tausendmal, und erkläre ihr die Lage. Wenn es mir gelingt, ein bis zwei Tage freizunehmen, komme ich sehr gern.«
»Danke für das Zugeständnis«, sagt Stefano. »Wirklich sehr gnädig von dir.«
»Was soll ich machen?« Sie holt die Schaumgummimatte aus der Ecke hinter der Tür. »Ich kann ja nichts dafür, dass ich eine Arbeit mache, bei der es um die Ferien der anderen geht.«
»Großartige Arbeit«, sagt Stefano. »Und noch dazu mit einem befristeten Vertrag. Du könntest genauso gut dort aufhören und dir im September was Neues suchen.«
»Und wovon lebe ich in der Zwischenzeit?« Sie befreit die Matte von dem Gummiband und rollt sie, immer noch mit einer Hand, auf dem Fußboden aus.
»Wir wären eingeladen, in Ovada«, knurrt Stefano gereizt.
»Aber wir würden ja nicht auf unbestimmte Zeit dort leben, oder?« Es schaudert sie beim bloßen Gedanken. »Und außerdem bin ich eine Verpflichtung eingegangen.«
Im Grunde, denkt sie, ist er sogar auf ihre Arbeit eifersüchtig: darauf, dass sie eine Arbeit hat - und das nicht zum ersten Mal -, dass sie ihren Job gut macht, engagiert und aufmerksam, unabhängig davon, wie viel sie dabei verdient.
»Natürlich, bravo«, sagt Stefano. »Du musst selber wissen, wo du deine Prioritäten setzt. Schönen Abend.«
»Ciao.« Sie legt das Handy auf den Tisch zurück. Dann legt sie sich auf die Matte, hebt die Beine, lässt sie kreisen, trainiert ihre Schenkel- und Bauchmuskeln, bis sie schmerzen.
Nach und nach besetzen die Kartons seine ganze Wohnung
Nach und nach besetzen die Kartons seine ganze Wohnung: Sie blockieren beinahe die Türöffnungen, erschweren es, sich von einem Zimmer ins andere zu bewegen. Ihr Anblick irritiert ihn zutiefst. Größtenteils enthalten sie seine Bücher in verschiedenen Ausgaben, aber in einigen sind auch verblasste Puppen seiner Kinder, von früher, als sie noch klein waren, ihre Buntstiftzeichnungen, Statuetten von Literaturpreisen, vhs-Kassetten von alten Filmen, von Verlagen zugesandte Bücher anderer Autoren, sogar Teller und Gläser: Spuren früherer Leben, Relikte vergangener Augenblicke. Es erstaunt ihn, dass sie die Zeit, der sie angehörten, in diesen immer mehr werdenden Kisten überdauern, wie hartnäckige Zeugen längst gelöster Beziehungen. Und jede Schublade in der Wohnung quillt über von bezahlten oder zu bezahlenden Rechnungen, gelesenen und ungelesenen Jahresberichten von Verlagen und Banken, abgelaufenen Pässen, Schreibheften, Taschenkalendern, Ansichtskarten, Theaterprogrammen, Sammelmappen, Stereokopfhörern, Notizen, Schlüsseln von Wohnungen, die nicht mehr seine sind, Visitenkarten von Leuten, die er nie mehr kontaktieren wird, verfallenen Münzen von fernen Reisen, Prospekten, mitgenommen wer weiß wann, wer weiß warum. Es kommt ihm unendlich traurig vor, dass Gegenstände sich auf diese Weise anhäufen können, ungewollt, nicht wieder verwendbar, auch im Leben eines Menschen, der die Anhäufung von Dingen hasst. Im Grunde, denkt er, funktioniert eine Wohnung wie ein Filter, alles, was ihn durchläuft, hinterlässt Schlacken, bis er verstopft ist. Manchmal juckt es ihn, alles wegzuwerfen, die Zimmer leer zu räumen, so wie sie waren, als er sie zum ersten Mal betreten hat, aber er weiß, dass es nicht so einfach ist. Das
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