Sie waren zehn
Tüte, bis Sassonow den Ehering abstreifte und zu den anderen Sachen fallen ließ. Was sollte man jetzt noch sagen? Jedes Wort war zuviel, war sinnlos, gab keinen Halt mehr her.
»Was wird damit?« fragte Sassonow gepreßt. »Sie heben das doch nicht auf?«
»Warum nicht?« Hansekamm verschloß die Tüte.
»Wir sind doch tot!«
»Das stimmt.«
»Spurlos verschwunden.«
»Wir werden die Utensilien entweder vergraben oder der Berliner Müllbeseitigung übergeben. Sassonow, ich weiß, wie Ihnen jetzt zumute ist … aber Sie sehen doch ein, daß ein sowjetischer Maschinenbauingenieur nicht mit einem deutschen Ehering herumlaufen kann. Auch wenn Sie ihn irgendwo an sich verstecken; die Gefahr, daß er doch entdeckt wird, ist zu groß.«
Hansekamm hatte dann russische Streichholzschachteln, russische Taschenmesser und sogar russische Schlüssel verteilt. Nikolai Antonowitsch Plejin, der kleine Tenor, der eigentlich Elektriker war, aber in Moskau nach seiner Verwundung die Gesangsausbildung fortgesetzt hatte, von morgens bis zum Nachmittag in einem Kombinat verantwortlich für die Energieversorgung, am Abend neben einem Klavier stehend und Tonleitern übend, Atemstützen, mezza di voce, portamenti, fermata – er bekam sogar einen vollkommenen Elektrikerkasten mit allen Werkzeugen, wie man ihn braucht, wenn man zu Reparaturen in die Außenbezirke des Kombinats fährt. Ein solider Metallkasten, hergestellt in Leningrad. Plejin hatte den Kasten geöffnet, die Werkzeuge betrachtet und wieder zugeklappt. »Wenn das nur gutgeht!« hatte er gesagt.
»Wir wissen, daß Sie ein begeisterter Bastler sind. Ihre Mutter hat erzählt, daß Sie schon als Junge aus alten Teilen ein Radio zusammengebaut haben. Und es funktionierte.«
»Das stimmt!« Plejin schluckte. Sein Jungengesicht bestand in diesem Moment nur noch aus seinen großen Augen. »Sie haben mit meiner Mutter gesprochen?«
»Unsere Informationen über jeden von Ihnen sind vollkommen.« Hansekamm hatte es trotz des väterlichen Untertons sehr ablehnend gesagt. Keiner fragte mehr nach Einzelheiten. Das hier ist ein höllischer Perfektionismus, dachte Boranow. Ich wette, sie wissen sogar, wie oft wir im Wochendurchschnitt auf den Lokus gehen …
Nun standen sie im Vorraum, rauchten und warteten auf ihren Transport. Oberst von Renneberg war noch nicht erschienen. Vom Hof her hörten sie Motorengedröhn und quietschende Bremsen. Die Wagen. Es war kurz vor sechs Uhr. »Noch leben wir, Genossen!« sagte Petrowskij plötzlich laut. »Verdammt noch mal, warum hängen wir an der Wand?! Man sollte sich das alles von einer anderen Seite aus besehen: In ein paar Stunden sind wir in Sicherheit. Der Krieg ist für uns vorbei. Überall hätten wir jetzt die Chance, den glorreichen Heldentod zu sterben – nur nicht als Russe in Rußland! Plejin, du lägst jetzt mitten in der tiefsten Scheiße bei deinem Normandie-Städtchen. Und wir anderen würden in ein paar Tagen von der sowjetischen Offensive niedergewalzt werden! Doch wie geht's uns wirklich? Wir spazieren gemütlich nach Moskau. Wir haben unsere Entlassungspapiere aus der Roten Armee. Was in Europa auch noch passiert – uns geht's nicht mehr an! Wir sind arbeitsame, friedliche Bürger geworden. Daran sollten wir denken. Wer von uns Moskau erreicht, der überlebt auch!«
»Und Stalin kommt zu dir, hält den Kopf hin und sagt freundlich: ›Nun schieß schon endlich ein Loch in meinen Schädel, Brüderchen!‹« Boranow zertrat seine halbgerauchte Zigarette auf den Dielen. »Mindestens einer von uns muß an ihn heran. Aus der Ferne ist es kaum möglich. Seine Autos sind gepanzert. Wenn er außerhalb seines Wagens ist, hat nur das Aug'-in-Auge eine Erfolgschance.«
»Wer kann das vorher sagen?« Sassonow ging ruhig auf und ab. »Wir sollten nicht schon so weit denken, Genossen! Erst kommt der Absprung. Dann werden wir sehen, wie unsere Wege laufen …«
Drei Minuten vor sechs kam Oberst von Renneberg die Treppe vom ersten Stockwerk herunter. Er hatte umgeschnallt und einen Ledermantel lose um die Schultern gelegt. Auch er rechnete mit Regen. Er grüßte knapp und erwartete keinen Gegengruß. Er hatte Russen vor sich, die sich, von Zigarettenqualm eingenebelt, an die Wand lehnten und ihn stumm anstarrten.
»Die Wagen warten!« Renneberg stellte seine Aktentasche auf den Boden und holte aus der linken Uniformtasche einen kleinen, verchromten Kasten. Er sah aus wie ein etwas zu dick geratenes Zigarettenetui.
»Ich möchte
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