Sieg der Herzen
Und du hast deine Mutter und mich die ganze Zeit über leiden lassen. Ich weiß nicht, ob ich dir das jemals verzeihen kann.« Nach diesen Worten wandte sich Jacob um und schritt davon. Er ging durch die Außentür in den Schnee hinaus.
June berührte Wes am Arm. »Er wird sich nach einer Weile mit den Dingen abfinden, Wesley. Gib ihm nur ein wenig Zeit.«
Er stieß einen Seufzer aus. »Vielleicht zwanzig Jahre?«, gab er grimmig zurück. Schon so lange sühnte er für seine Rolle bei Wills Tod, doch seine Schuld war kein bisschen gemindert. »Mama, es tut mir leid«, sagte er. »Alles tut mir leid - dass Will in den Krieg ziehen musste, um auf mich aufzupassen, dass er starb - o Gott, du wirst nie wissen, wie leid mir das tut...«
Sie umfasste sein Gesicht mit beiden Händen. »Pst, Wesley. Was mit deinem Bruder geschah, war nicht deine Schuld. Und vielleicht hättest du früher heimkommen und einige dieser Dinge nicht tun sollen. Aber das geschah in der Vergangenheit, und wir können es nicht rückgängig machen, keiner von uns. Wir müssen einfach weitermachen.« Sie griff mit zitternder Hand nach dem Steckbrief, den er Jacob hatte geben wollen. »Das ist ebenfalls Vergangenheit, nicht wahr? Du bist nicht mehr auf der Flucht vor dem Gesetz?«
Er nahm eine ihrer Hände und küsste leicht die Handfläche. »Ich bin nicht auf der Flucht, Mama. Ob ich vom Gesetz gesucht werde oder nicht, werde ich wohl den Marshal fragen müssen.« Er blickte zur Tür, die immer noch kaum wahrnehmbar in den Angeln zu zittern schien. »Im Augenblick mache ich mir mehr Sorgen um dich und Daddy.« Er versuchte zu lächeln, schaffte es jedoch nicht. Immerhin konnte er sich sein Bemühen zugute halten. »Ich glaube, ich sollte die Stadt verlassen ...«
»Nein«, murmelte June und schüttelte den Kopf. »Ich habe dich gerade erst zurückbekommen. Ich kann dich nicht wieder verlieren. Das würde ich nicht ertragen.« Sie atmete tief durch. »Was deinen Vater betrifft, so befürchtet er nur, dass alles eine Art Irrtum sein könnte. Dass du überhaupt nicht wirklich zurückgekommen bist.« Sie musterte ihn forschend. »Was ist mit Olivia?«
Irgendwie traf ihn diese Frage härter als der Schlag, den ihm Jacob verpasst hatte, bevor er aus der Station gestürmt war; er spürte ihn jetzt noch. »Was soll mit ihr sein?«
»Sie liebt dich, du Dummkopf«, sagte June und lächelte durch einen weiteren Tränenschleier zu ihm auf. Wie viele Tränen hatte sie um ihn und Will im Laufe der Jahre vergossen?
»Ich liebe sie auch«, gab er mit einer Ungezwungenheit zu, die ihn überraschte. »Aber Olivia hält mich für Will.«
»Hast du ihr das gesagt? Dass du Will bist?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Sie hat es sich nur selbst zusammengereimt, nachdem sie den Steckbrief fand. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mir verzeihen wird. Sie wird wie Daddy reagieren. Wenn sie erst die ganze Wahrheit erfährt, wird sie denken, sie hat den falschen Bruder bekommen.«
»Das ist Blödsinn.«
»Will war der weitaus Bessere von uns beiden, Mama, und das weißt du, ob du es nun wahrhaben willst oder nicht.«
»Du bist nicht fair gegenüber deinem Bruder, wenn du ihn zu einem Übermenschen zu machen versuchst. Du bürdest ihm eine Last auf, sogar noch im Tod.« Ihre Stimme bebte. »Lass mich dich einen Moment in den Armen halten, Wesley McCaffrey. Ich habe mich so sehr danach gesehnt, und dein Vater ebenso.«
Sie hielten sich eine Weile schweigend in den Armen, und dann löste sich June abrupt von ihm und ging zum Herd. Als er ein Junge gewesen war, hatte sie sich stets in ihr Kochen geflüchtet, wenn irgendetwas sie besonders bewegt hatte, und daran hatte sich offenbar nichts geändert.
»Ich werde Kaffee machen. Setz dich an einen der Tische im Restaurant und bereite dich darauf vor, mir alles zu erzählen, was passiert ist, seit du uns vor all den Jahren verlassen hast.«
Er lachte freudlos und nahm Platz. Erst dann bemerkte er, dass er immer noch seinen Mantel anhatte, und er zog ihn aus. »Da gibt es allerhand zu erzählen, Mama.«
»Ich habe alle Zeit der Welt.«
Dann begann er zu schildern, was er erlebt hatte, und die Erinnerungen, die so lange in ihm verborgen gewesen waren, brachen sich plötzlich freie Bahn.
Seine Mutter brachte die Kaffeekanne zum Tisch, wo er saß, und servierte ihm dazu ein Stück Apfelkuchen. Dann setzte sie sich ihm gegenüber hin und hörte zu, so, wie sie alles tat - mit Verstand, Herz und Seele.
Er erzählte
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