Sieg der Leidenschaft
zurück.
Wann immer Tia das Haus verließ, blieb ihr Shelby auf den Fersen. Beinahe hätte sie Ian erklärt, der junge Bursche könnte sie wohl kaum an der Flucht hindern, falls sie sich dazu entschließen würde. Aber sie fand es besser, den Mund zu halten.
Am fünften Tag nach Taylors Abreise ertrug sie den Müßiggang nicht mehr. In der lutherischen Kirche war erneut ein Lazarett eingerichtet worden. Dicht gefolgt von Shelby, ging Tia hin, um ihre Dienste anzubieten. Statt der Kirchenbänke standen Feldbetten zu beiden Seiten des Mittelgangs - teilweise mit Verwundeten belegt, die von zwei Frauen betreut wurden. Soeben trugen die Sanitäter Bahren mit neuen Patienten herein. Tia suchte die Seitenkapelle, wo der kommandierende
Arzt die Papiere seiner Untergebenen durchsah. Als sie an den beiden Yankee-Frauen vorbeieilte, begannen sie zu tuscheln.
Tia ignorierte sie und trat vor den Schreibtisch des Doktors. »Verzeihen Sie die Störung, Sir - ich bin eine erfahrene Krankenschwester und würde gern hier arbeiten.«
Der etwa 50-jährige grauhaarige Arzt hob den Kopf und musterte sie mit freundlichen, vertrauenerweckenden Augen. »Wie heißen Sie?«
»Tia McKenzie.«
»McKenzie-Douglas?« Lächelnd stand er auf, reichte ihr die Hand und stellte sich vor. »Reginald Flowers. Ich weiß, wer Sie sind. Natürlich finde ich Sie viel schöner als Ihre Brüder. Aber die Ähnlichkeit ist unübersehbar.«
»Also kennen Sie meine Brüder?«
»Nach Gettysburg habe ich mit Julian zusammengearbeitet. Ich wünschte, er wäre jetzt hier. Und Ian ist eine Legende bei unserer Kavallerie - ebenso wie Ihr Ehemann, Ma'am.«
»Gewiss«, murmelte sie und wandte sich zu den Frauen, die ihr zum Eingang der Kapelle gefolgt waren und sie misstrauisch musterten.
»Die beiden halten Sie wahrscheinlich für eine Rebellin, die unsere Verwundeten in dunkler Nacht vergiften wird«, meinte Dr. Flowers.
»Und was denken Sie?«, fragte Tia.
»Dass sie dumme alte Schachteln sind.« Verschwörerisch zwinkerte er ihr zu. »Warum kommen Sie erst jetzt?«
»Wie, bitte?«
»Vor ein paar Tagen war Colonel Douglas hier und erklärte, Sie würden zwar mit dem Süden sympathisieren, aber es sei Ihr wichtigstes Anliegen, den Verwundeten zu helfen - Yankees und Rebellen gleichermaßen. Da Sie Julians Schwester sind, zweifle ich nicht an
Ihren Fähigkeiten. Am besten fangen Sie mit den Verletzten an, die gerade eingeliefert wurden.«
Bereitwillig wusch und nähte sie Wunden und legte Verbände an. Noch am selben Tag avancierte sie zu Dr. Flowers Operationsassistentin. Um das Getuschel der beiden anderen Krankenschwestern kümmerte sie sich nicht. Einige Sanitäter kannten Rhiannon, die sie sehr bewunderten. Bald freundete sich Tia mit den Männern an und am Abend hatte sie fast vergessen, dass sie im Lazarett der Feinde arbeitete.
Im Morgengrauen des nächsten Tages kehrte sie zurück. Von da an arbeitete sie täglich zwölf Stunden. Da Private Shelby sie nicht aus den Augen lassen durfte, half er ihr im Lazarett, etwas unbeholfen, aber überaus eifrig - zu ihrer eigenen Überraschung ein weiterer Yankee, den sie mochte. In Marys Haus kam er nur selten. Obwohl er in einem Gästezimmer Platz gefunden hätte, schlief er auf der Veranda in einer Hängematte.
Auch General Magee zählte zu den Feinden. Aber weil er Risas Vater war, schickte Tia einen Boten zu ihm, mit einer Einladung zum Dinner, die er annahm. Als sie ihn kennen lernte, wusste sie, warum Risa eine so selbstbewusste, warmherzige, kluge junge Frau war. Ian, Jesse Halston und Tias Ehemann hatten unter Magee gedient.
Über Taylors Spezialaufträge in der Unionskavallerie sprach der General nicht viel und erwähnte nur, der Colonel sei ein beängstigend guter Scharfschütze. Viel ausführlicher berichtete er von Taylors großer Leidenschaft, der Architektur. »Er möchte Häuser bauen, die den Sommerwind einfangen, allen Stürmen trotzen und sich harmonisch in die Landschaft einfügen.«
»Vielleicht findet er irgendwann eine Gelegenheit dazu«, erwiderte Tia. Dann erzählte sie von Magees Enkel Jamie und dem Baby, das Risa erwartete.
»Solange in diesem Krieg Kinder geboren werden, gibt es Hoffnung. Dem Himmel sei Dank für jeden neuen Erdenbürger.«
Darauf gab sie keine Antwort. Sonst hätte sie den General auf all die toten Kinder hinweisen müssen. Einige Tage später kehrte sie nach ihrer Schicht im Lazarett heim und fragte Ian erneut, wo Taylor sei. Zögernd blickte er vom
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