Sieg der Leidenschaft
der Wachtposten am Kontrollpunkt.
»Würden wir in Washington alle Frauen hängen, die irgendwann mit dem Süden sympathisiert haben, gäb's bald keine weibliche Bevölkerung mehr in der Hauptstadt. Und so, wie's jetzt aussieht, unternimmt Mrs. Halston nichts mehr gegen die Union. Ich glaube, sie tut einfach nur was Gutes für die armen Leute auf ihrem Wagen. Zu Hunderten strömen Flüchtlinge in die Stadt. Was macht's schon aus, wenn Mrs. Halston noch drei mitbringt?«
»Außerdem ist sie mit Jesse verheiratet«, betonte ein Kavallerist. »Und er hat sie sicher nicht grundlos zum Traualtar geführt. Ein Hoch auf Jesses Frau!«
Die anderen Soldaten stimmten in den Jubel ein und Sydney nickte ihnen errötend zu. Am liebsten wäre sie davongelaufen.
»Lassen Sie die Lady passieren, Sergeant Walker!«
Entschlossen ging ein Artillerie-Colonel, der bisher an einem alten Eichenstamm gelehnt hatte, auf den Wachtposten zu.
»Aber ...«
»Sofort!«
Sydney schaute in die müden Augen des Colonels, den sie auf fünfzig schätzte. Aber wahrscheinlich war er viel jünger, ebenso wie Del und Geraldine. »Danke, Sir.«
»War mir ein Vergnügen, Mrs. Halston«, erwiderte er und verneigte sich.
Sydney eilte zum Wagen zurück, kletterte auf den Kutschbock und ergriff die Zügel.
»Fabelhaft!«, meinte Sissy voller Stolz. »Eine Yankee-Rebellin!«
»Das bin ich nicht!«, fauchte Sydney und spornte das Gespann an. »Ich wünschte, du wärst meine Sklavin. Dann würde ich dir das Fell über die Ohren ziehen.«
Sissy brach in perlendes Gelächter aus.
»Deinetwegen schmuggle ich zwei Schwarze in die Union!«, warf Sydney ihr vor.
»O nein, Sydney Halston, du verhilfst zwei Menschen zu ihrer rechtmäßigen Freiheit. Dafür danke ich dir von ganzem Herzen. Und ich weiß, der Allmächtige wird's dir lohnen.«
»Trotzdem war's nicht richtig.«
»>Der Zweck heiligt die Mittel<«, zitierte Sissy. »Machiavelli.«
»Seit wann lesen denn die Schwarzen denn Machiavelli?«
»Nun, ich genoss eine hervorragende Ausbildung. Das ist sehr wichtig.«
»Und was sollen die vielen tausend ungebildeten Sklaven tun, die auf den Feldern im Süden gearbeitet haben? Dieser Krieg zerstört ihre ganze Welt, die Plantagen werden vernichtet, und die Schwarzen verlieren ihr Zuhause. Sobald das furchtbare Gemetzel auf den
Schlachtfeldern aufhört, werden neue Kämpfe beginnen - ums Überleben.«
»Der Weg in die Freiheit ist der erste Schritt.«
»Und was haben diese Menschen davon, wenn sie in der Freiheit verhungern?«
»Zumindest wissen sie, dass sie nie mehr Peitschenhiebe am Rücken spüren werden, dass niemand ihre Kinder an neue Herren in anderen Staaten verkaufen darf. Überleg doch mal, Sydney! Du warst im Gefängnis. Ist die Freiheit nicht jeden Preis wert?«
Langsam schüttelte Sydney den Kopf. »Mein Gott, Sissy, ich weiß es nicht - ich weiß es einfach nicht.«
»Jedenfalls danke ich dir. Wenn Jesse das erfährt ...«
»Untersteh dich, ihm davon zu erzählen! Ich habe ihm versprochen, alle politischen Aktivitäten zu unterlassen. Und heute wäre ich fast schon wieder verhaftet worden.«
Lächelnd berührte Sissy das kastanienbraune Haar ihrer Freundin. »Die Soldaten haben dich ganz sicher nur aufgehalten, weil du so schön bist.«
»Trotz meines Indianerbluts ...« Sydney staunte über die bitteren Emotionen, die der Kommentar des Sergeants in ihr geweckt hatte. Solche Vorurteile bekam sie nur selten zu spüren. Ihre Großmutter war eine Seminolin gewesen, ihr Großvater ein McKenzie. Wenn Sydneys Eltern auch im fast unbesiedelten Süden Floridas lebten - Sydney hatte Dinnerpartys und Bälle im Haus ihres Onkels in Tampa besucht und sie kannte auch South Carolina, die Heimat ihrer Mutter. Unabhängig von ihrer Herkunft, gehörte sie zur reichen Oberschicht Amerikas. Kein Mann hatte es je zuvor gewagt, ihre Familie zu verunglimpfen. Sicher, manchmal hörte sie Getuschel, wenn sie einen Raum betrat. Oder die Leute wisperten einander zu, es sei jammerschade, dass sie mit Indianerblut >besudelt< sei.
Sie selbst hatte sich nie besudelt gefühlt. Das Volk ihrer Großmutter brachte ihr stets nur Liebe und Ach-tung entgegen. Vor langer Zeit hatte sie entschieden, das Leben einer alten Jungfer wäre besser als eine unglückliche Ehe. Deshalb wollte sie nur aus Liebe heiraten. Wenn die Gesellschaft sich dagegen stellte und der geliebte Mann zu schwach war, um für Sydney zu kämpfen, würde ihre Liebe sehr schnell erlöschen.
Und
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