Sieg der Leidenschaft
Wangenknochen. War sie blind gewesen? Bei jener verhängnisvollen Begegnung im Wald hatte sie den Eindruck gewonnen, sie würde ihn kennen. Natürlich hätte ihr die Ähnlichkeit mit ihrem Vetter Jerome auffallen müssen. Auch in den Adern des Yankees floss Indianerblut.
Reeves, der würdevolle Kammerdiener ihres Vaters, schenkte gerade Whiskey und Sherry ein. Die Stirn gerunzelt, beobachtete er, wie Tia den Gast anstarrte. Mahnend hob er die Brauen und hielt ihr das Tablett hin. Am liebsten hätte sie ein Whiskeyglas ergriffen. Aber sie wählte einen Sherry, so wie es sich für eine junge Dame schickte.
»Endlich, Tia!« Ihr Vater stand auf und ging zu ihr.
Hastig nippte sie an ihrem Sherry. »Tut mir Leid, Vater. Ich konnte mich einfach nicht von meinem Neffen und meiner Nichte losreißen.« Lächelnd küsste sie seine Wange, dann wandte sie sich zu ihrem Bruder. »Ich beneide dich um deine Kinder, Ian.«
»Natürlich, die beiden sind meine Freude und mein Stolz. Aber du musst mich nicht beneiden. Bald wirst du selbst Kinder bekommen.«
»Vielleicht erwartet mich das Schicksal einer alten Jungfer«, meinte sie leichthin und leerte ihr Glas.
»Erinnerst du dich an Taylor Douglas, Tia?«, fragte Jarrett.
»Nein - aber jetzt haben wir uns ja kennen gelernt.«
»Ja«, bestätigte Taylor höflich, »wir wurden einander offiziell vorgestellt.« Warum wirkte sein Lächeln so bedrohlich? »Und wie ich gestehen muss, Sir - die Herzenswärme Ihrer Tochter gibt mir das Gefühl, ich würde sie schon lange kennen.«
»Nun, auf Cimarron heißen wir alle Menschen willkommen, nicht wahr Vater?« Jarretts dunkle Brauen zogen sich zusammen und sie wusste, dass er an ihrer Fähigkeit zweifelte, einem Unionisten charmant zu begegnen. »Schenken Sie mir noch einen Sherry ein, Reeves«, bat sie. »So was Gutes bekomme ich nur selten, wenn ich unterwegs bin.«
»Ja, die Pfade da draußen sind beschwerlich - und manchmal muss man sogar auf das Allernötigste verzichten«, meinte Taylor und Tia errötete heftig.
Zu ihrer Erleichterung erschien Raymond Weir auf der Schwelle.
»Komm doch näher, Ray!«, rief Jarrett. »Reeves, einen Whiskey für den Colonel.«
»Vielen Dank, Jarrett.« Ray nahm das Glas entgegen, das der Diener ihm reichte, und prostete dem Hausherrn zu. »Auf das Leben!«
»Auf das Leben!« Und alle Anwesenden hoben ihre Gläser.
»Colonel Raymond Weir von der Konföderation -Colonel Taylor Douglas von der Union«, stellte Jarrett die beiden Offiziere einander vor. Förmlich verneigten sie sich.
»Colonel«, sagte Ray.
»Colonel«, erwiderte Taylor.
»Stammen Sie aus dieser Gegend, Sir?«, erkundigte sich Ray.
»Ja, aber ich war lange Zeit woanders.«
»Nun sollten wir die Gentlemen ihren Gesprächen überlassen«, schlug Jarrett McKenzie vor. »Ray, Taylor
- gebt uns bitte Bescheid, wann das Essen serviert werden soll.«
Bis zum Dinner verstrichen mehrere Stunden. Offenbar sollten sehr viele Gefangene ausgetauscht werden -Corporals gegen Corporals, Lieutenants gegen Lieutenants. Oder zwei Privates gegen einen Sergeant, drei Sergeants gegen einen Major, zwei Privates und ein Sergeant gegen einen Lieutenant.
Immer wieder eilte Reeves in die Bibliothek, um Whiskeygläser nachzufüllen, Zigarren anzubieten und dem Hausherrn zu versichern, beide Offiziere würden sich wie Gentlemen benehmen und nicht einmal bei Meinungsverschiedenheiten die Stimmen erheben. Um halb acht drang die Nachricht aus der Bibliothek, die Probleme seien beinahe gelöst und die Unterhändler würden sich freuen, mit den McKenzies um acht zu speisen - falls es den Gastgebern konveniere.
Während Tia auf der Veranda im Familienkreis die Mahlzeit erwartete, fühlte sie sich so zufrieden wie schon lange nicht mehr. Glücklicherweise sprachen sie nur indirekt über den Krieg. Alaina schilderte das Leben in St. Augustine und erzählte von Jeromes Frau Risa, bei der sie wohnte. Vor ein paar Wochen war Risa in den Norden gereist, da sie ihren Vater, General Magee von der Union, lange nicht gesehen hatte und nicht wusste, wo sich ihr Ehemann derzeit aufhielt. Deshalb wollte sie mit ihrem Sohn den Vater besuchen. Dann berichtete Tia, ihre Schwägerin Rhiannon habe sich um den Blockadebrecher Jerome gekümmert, der bei einer seiner Exkursionen verletzt worden sei. Entspannt saß sie neben ihrem Vater auf den Verandastufen und genoss den milden Abend.
Wenn doch nur ...
Schließlich erschienen Ray und Taylor in der Haustür.
»Nun, alle
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