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Sigma Force 05 - Das Messias-Gen

Titel: Sigma Force 05 - Das Messias-Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Rollins
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Verfall entgegenstemmte. Unter seiner erschlafften Haut besaß Juris Körper noch immer die alte Spannkraft. Er verfügte über schnelle Reflexe, und sein Verstand war so scharf und beweglich wie eh und je. Mit Androgen und Wachstumshormonen sowie mit konsequentem Fitnesstraining versuchte er hartnäckig, den Lauf der Zeit aufzuhalten. Allerdings wurde er nicht von Eitelkeit angetrieben.

    Er blickte in den Nebenraum.
    Nein, Eitelkeit war es nicht.
    Mapplethorpe trommelte mit den Fingern auf die Sessellehne. »Wir müssen uns wiederbeschaffen, was Polk uns gestohlen hat.«
    »Er hatte den Gegenstand nicht bei sich«, versicherte Juri ihm voller Nachdruck. »Er ist zu groß, um ihn am Körper zu verstecken. Er passt auch nicht unter eine Jacke. Ein Glück, dass ich ihn aufhalten konnte, ehe er mit jemandem gesprochen hat.«
    »Ich hoffe, Sie haben recht. Um unser aller willen.« Mapplethorpe richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Nebenraum. »Und sie hat ihn aufgespürt? Obwohl sie noch in Russland war?«
    Juri nickte. Väterlicher Stolz schwang in seinem Tonfall mit. »Es könnte sein, dass wir mit ihr und ihrem Zwillingsbruder endlich den Durchbruch geschafft haben.«
    »Schade, dass sie nicht schneller war.« Mapplethorpe schnalzte bedauernd mit der Zunge. »Die Tochter meines Schwagers hat einen autistischen Jungen. Habe ich das schon erwähnt? Allerdings ist er kein Savant. Er kann sich kaum die Schuhe binden.«
    »Man sollte die Bezeichnung autistischer Savant verwenden«, entrüstete sich Juri.
    Mapplethorpe zuckte mit den Schultern.
    Juris Abneigung gegen den Amerikaner wurde immer stärker. Nur wenige Menschen verstanden den Autismus, und das galt auch für die, welche wie Mapplethorpe im Medizinbereich tätig waren. In Wahrheit handelte es sich um ein ganzes Spektrum von Störungen, die mit Defiziten bei der Informationsverarbeitung, Schwächen in sozialer Kommunikation und Interaktion sowie abnormen Reaktionen auf Sinneseindrücke einhergingen. Die betroffenen Kinder begannen meist
erst spät zu sprechen und wiesen Sprach- und Verständnisstörungen auf, entwickelten motorische Stereotypen und Tics, beschäftigten sich vorzugsweise mit unbelebten Gegenständen und reagierten häufig unverhältnismäßig auf Ereignisse oder andere Personen.
    Bisweilen aber brachte die Störung auch Wunder zustande.
    In seltenen Fällen besaß ein autistisches Kind auf einem eng begrenzten Gebiet wie der Mathematik, der Musik oder der Kunst herausragende Fähigkeiten. Obwohl etwa zehn Prozent der autistischen Kinder über eine gewisse Savant-Begabung verfügten, interessierte Juri sich vor allem für die äußerst seltenen Fälle, die als »erstaunliche Savants« bezeichnet wurden, jene Hochbegabten, deren Fähigkeiten der Definition des Genies genügten. Doch selbst unter diesen herausragenden Personen gab es nur eine Handvoll, deren Fähigkeiten die der anderen in den Schatten stellten.
    Sie hatten alle die gleiche Abstammung.
    Ein altes Zigeunerwort ging ihm durch den Kopf.
    Die Chovihanis.
    Juri beobachtete das dunkelhaarige Mädchen durch das Einwegglas hindurch.
    »Was wir hier tun, darf auf keinen Fall bekannt werden«, brummte Mapplethorpe. »Sonst werden die Nürnberger Prozesse im Vergleich zu dem, was uns erwartet, wie ein Verkehrsgericht wirken.«
    Juri schwieg. Mapplethorpe verstand nicht einmal ansatzweise, worum es bei seiner Forschung eigentlich ging. Nach dem Fall der Berliner Mauer war Juri jedoch gezwungen gewesen, sich neue Hilfsquellen zu erschließen, um seine Arbeit fortsetzen zu können. Er hatte zehn Jahre gebraucht, um in Amerika das Terrain zu sondieren. Zunächst schien es aussichtslos, dann wandelte sich auf einmal das politische Klima. Der globale Kampf gegen den Terror schmiedete neue Allianzen
und Loyalitäten. Aus Gegnern wurden Freunde. Vor allem aber wurden die Grenzen des Anstands neu definiert. Eine neue Ära brach an, mit einer neuen Moral. Fortan bestimmte ein altes Sprichwort das Handeln: Der Zweck heiligt die Mittel.
    Alle Mittel.
    Solange sie dem Wohl der Allgemeinheit dienten.
    Juris Regierung hatte das immer schon gewusst. Die Amerikaner hatten diese bittere Wahrheit erst spät begriffen.
    »Was macht das Mädchen eigentlich da?«, fragte Mapplethorpe.
    Juri schreckte aus seinen Gedanken auf. Er erhob sich. Sascha stand vor der Staffelei, in der Hand einen schwarzen Filzstift. Ihr Arm wanderte am weißen Zeichenpapier auf und ab. Sie stach darauf ein und zeichnete eckige

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