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Silber

Titel: Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Savile
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war, als ob er in ein post-apokalyptisches Ödland eingefahren wäre. Von den Gebäuden hier war kein einziges mehr vollständig intakt. Mauern waren zusammengebrochen, die Ziegel weinten Staub. Die Kräne sahen aus wie die Exoskelette marsianischer Kriegsmaschinen. Der Asphalt war an vielen Stellen zu dunklen Geröllflächen zerbröckelt. Das Unkraut hatte sich seinen Weg durch die Risse gebahnt; die Natur holte sich diesen Stadtteil langsam zurück. Er konnte das Rauschen der Flusswellen an der Kaimauer hören. Er sah den Umriss des Nicholls Tobacco House vor sich. Zu seiner Zeit musste es ein beeindruckendes Gebäude gewesen sein; nun hatte die Silhouette vor dem Nachthimmel fast etwas Trauriges an sich. Trotz seiner Größe, trotz der symmetrisch gemauerten Backsteine und seiner Geschichte war dieses Gebäude genauso überflüssig geworden wie die Männer, die hier Schiffe gebaut, Lastkräne bedient, Metall gewalzt und Getreide gemahlen hatten. Sie waren Überbleibsel aus vergangenen Tagen. Vielleicht war es gar nicht schlecht, dass zumindest ein paar der Gebäude neues Leben eingehaucht wurde, dachte Frost, als er das Motorrad neben dem Zufahrtstor anhielt.
    Ein protziges Vorhängeschloss sicherte die Kette, mit der das Tor versperrt war. Er musste kurz grinsen. Man konnte den Maschendraht des Zauns mit bloßen Händen und ein bisschen Entschlossenheit auseinanderschieben, nur dieses Schloss würde sich keinem Menschen beugen.
    Für ein angeblich verlassenes Gebäude gab es ziemlich viele Reifenspuren unter dem Tor. Frost fuhr weiter. Beim Anblick des Gebäudes überkam ihn ein ungutes Gefühl, und er hatte nicht vor, es durch die Vordertür zu betreten.
    Er fand eine dunkle Ecke, die man von den Fenstern des Lagerhauses aus nicht einsehen konnte, und bockte die Maschine dort auf. Er nahm den Helm ab und hängte ihn an den Lenker. Dann rief er Lethe an.
    „Ok, was kannst du mir über dieses Gebäude verraten?“
    „Nicht viel, fürchte ich. Wie ich schon sagte, es soll demnächst saniert werden. Als Verantwortlicher bei der Baubehörde ist ein gewisser Miles Devere eingetragen. Ja, genau der Miles Devere, der den letzten Anruf auf das Handy von James’ Frau getätigt hat. Ich finde, das ist ein hübscher kleiner Zufall.“
    „Es gibt keine Zufälle auf der Welt, mein kleiner Sonnenschein. Es gibt eine Verbindung. Es ist vielleicht kein Eckstück des Puzzles, aber wir haben ein Teil aus der Mitte gefunden. Sprich weiter.“
    „Die Devere Holding hat ihre Finger in einem ganzen Dutzend schicker Bauprojekte in der Stadt. Der Mann zieht günstige Immobilien geradezu magisch an. Er hat ein paar der alten Lagerhäuser und Mühlen im Hafengebiet gekauft, und nicht nur in Canning Docks. Er hat beim Bauamt Pläne für die Entwicklung eines ganzen Wohnviertels am Fluss vorliegen, es geht dabei um eine Investition von etlichen Millionen Pfund in die Stadt- und Landerneuerung. Und er hat enorm hohe Subventionsforderungen an die Ämter gestellt. Im Klartext heißt das, er hat das Nicholls-Gebäude für den symbolischen Betrag von einem Pfund und das Versprechen gekauft, dass er beim Neuaufbau lokale Arbeiter anstellen würde. Dieses eine Pfund hat ihm mittlerweile dreiunddreißig Millionen Pfund an staatlichen Fördergeldern eingebracht, ohne dass er auch nur einen Finger rühren musste.“
    „Es lebe der Kapitalismus,“ sagte Frost. „Also, was hat Miles Devere mit unserer Geschichte zu tun?“
    „Vielleicht nichts. Wie ich schon sagte, es könnte nur ein Zufall sein. Ich suche noch nach einer Verbindung zwischen Tristan James und Devere. Es muss eine geben. Momentan habe ich allerdings noch nichts.“
    „Vielleicht hat Devere ihn angeheuert, um etwas für ihn auszugraben?“ überlegte Frost laut. Wofür könnte ein Immobilienspekulant sonst die Dienste eines Archäologen benötigen?
    „Vielleicht ein Piratenschiff, das auf dem sandigen Grund des Flusses aufgelaufen ist?“, sagte Lethe kichernd.
    „Wohl kaum.“ Aus der Richtung des Lagerhauses hörte Frost Hundegebell. Kurz darauf sah er die dunkle Silhouette eines Mannes, der den Wachhund über den schuttübersäten Hof von Nicholls Tobacco führte. Die Taschenlampe des Mannes irrlichterte ziellos durch die Dunkelheit. Der Mann konnte ihn nicht gesehen haben, aber der Hund hatte seinen Geruch aufgenommen. Und der Hund wusste, dass er nicht hierher gehörte.
    Frost schlich sich geduckt von seiner Maschine weg; er versuchte, sich dabei so klein wie möglich zu

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