Silberband 065 - Die Altmutanten
jeder vor dem rötlich verfärbten Körper seines Vorgängers stand. Ihre Oberfläche bewegte sich so, als werde sie vom Wind verzerrt.
Die Ärzte warteten. Die Sekunden verstrichen, ohne daß etwas geschah. Schließlich räusperte sich Paih Terzyu.
»Worauf warten Sie noch, Betty?«
»Wir oder vielmehr unsere Wirtskörper sehen nicht mehr sehr gut aus.«
»Das ist uns bekannt, Betty.«
Wiederum verstrich fast eine Minute, bis die Mutantin erneut sprach.
»Verstehen Sie denn nicht?« fragte sie aufgeregt. »Begreifen Sie nicht, daß es uns unangenehm ist, bei dieser Prozedur ständig beobachtet zu werden?«
Paih Terzyu senkte unwillkürlich den Kopf.
»Verzeihen Sie mir, Betty. Daran habe ich nicht gedacht. Ich kann es nachempfinden, daß Sie diese Körper nicht zeigen mögen. Sie sind kein schöner Anblick – weder für uns noch für Sie. Wir werden Sie allein lassen. Bitte, geben Sie uns Bescheid, wenn alles in Ordnung ist.«
»Ich danke Ihnen, Paih Terzyu. Sie haben mehr Mitgefühl, als ich angenommen habe.«
Der Ara lächelte. Er nickte dem Quallenwesen zu, in dem er Betty wußte. Dann gab er den anderen Besuchern den Befehl, die Station zu verlassen. Er konnte sich wirklich vorstellen, daß es den Mutanten unangenehm war, die Wirtskörper vor aller Augen aus den Umschlingungskörpern der Matten-Willys herauszulassen. Jedes bewußt denkende Wesen hat einen gewissen Sinn für Schönheit und Reinheit. Wer weiß, daß sein Anblick Entsetzen auslösen muß, der scheut sich, sich anderen zu zeigen.
Paih Terzyu akzeptierte den Wunsch der Mutanten, ohne den geringsten Verdacht zu hegen. Als Arzt war er es gewohnt, grauenhaft verunstaltete Wesen ohne innere Gefühle gegenüberzutreten und sie zu behandeln. Aber auch für ihn gab es gewisse Grenzen. Auch er konnte sich dem Einfluß nicht entziehen, den das äußere Bild eines Kranken auf den Arzt ausüben mußte.
Ein Gefühl unendlicher Erleichterung erfaßte die Mutanten, als sich die Tür hinter den Besuchern schloß.
Die acht frischen Matten-Willys machten sich bereit, die Mutanten zu übernehmen. Aber plötzlich griffen diese an.
Eine hypnosuggestive Welle erfaßte sie und überwältigte sie auf der Stelle. Schlagartig vergaßen die Quallenwesen die Wirklichkeit. Als sie die Plätze ihrer Vorgänger einnahmen, glaubten sie, die Synthokörper in sich zu tragen. Jeder von ihnen war fest davon überzeugt, eine äußerst wichtige Rolle bei der Behandlung der Mutanten zu spielen. So blickten sie den erschöpften Matten-Willys gelassen nach, als diese die Station verließen.
Auf dem Gang vor der Station räumten einige Arbeitsroboter die Reste der abgeschossenen Kampfmaschinen weg. Ein junger Arzt stand bei ihnen. Er beobachtete, wie die Matten-Willys an ihm vorbeiwatschelten.
»Ihr seid die nettesten Krankenschwestern, die ich je kennengelernt habe«, verkündete er, beugte sich vor und streichelte ein Quallenwesen. Ein Pseudoarm fuhr aus der rötlichen Masse und drängte seine Hand zur Seite.
»Wir sind vollkommen groggy«, behauptete der Matten-Willy. »Jetzt benötigen wir dringend Ruhe, also halten Sie uns bitte nicht auf.«
»Diese Absicht hatte ich ganz und gar nicht«, sagte der Assistent verlegen.
Die Matten-Willys schwankten hinaus, als ob sie betrunken seien. Zu dieser Zeit ahnte niemand, daß die Mutanten die Flucht angetreten hatten.
Als Paih Terzyu in die Station zurückkam, befahl er seinen Helfern, die Meßinstrumente wieder anzulegen. Einer der Matten-Willys, den der Ara für den Träger von Betty Toufry hielt, sagte: »Das ist sinnlos. Unterlassen Sie das bitte. Wir glauben nicht daran, daß Sie uns damit helfen könnten. Sie belästigen uns nur.«
»Ich benötige die Ergebnisse.«
»Geben Sie uns einige Stunden Ruhe! Bitte!«
»Na gut. Im Grunde genommen haben Sie recht. Viel erreichen wir ohnehin nicht.«
»Ich danke Ihnen für die ehrlichen Worte.«
Viel länger hätte das Gespräch nicht dauern dürfen, denn weitere Fragen hätten den Matten-Willy in Verlegenheit gebracht.
Die Mutanten hatten dieses Gespräch aus einer Entfernung von fast zweihundert Metern verfolgt und zum Teil gesteuert. Jetzt wußten sie, daß sie den Rücken frei hatten und die Flucht energisch vorantreiben konnten.
Die Zeiger in der Klinik für paraabstrakte Phänomene rückten auf 12.48 Uhr Ortszeit vor. Die Sonne stand jetzt hoch am Himmel. Die Wolkenbänke hatten sich aufgelöst. Es war heiß und stickig.
Dreihundert Meter von der Klinik entfernt
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