Silberband 106 - Laire
nur als seelenlos bezeichnen konnte. Frath machte überhaupt einen sehr kalten Eindruck auf mich, obwohl ich nicht hätte sagen können, dass er gefühllos gewesen wäre. Ganz im Gegenteil, er sprühte vor Emotionen, aber seine Gefühle waren durchwegs ichbezogen.
»Das ist einer der wenigen Wünsche, die ich dir nicht erfüllen kann.« Er machte ein Kindergesicht, das ihn für mich nur noch älter erscheinen ließ. Als sei er tausend Jahre alt. Ja, er erschien mir älter als Julian Tifflor, der Erste Terraner. Und der ist bekanntlich unsterblich. »Aber sonst wird es dir an nichts fehlen. Ich möchte, dass du dich hier sehr wohlfühlst und dass wir einander näherkommen. Glaubst du, dass du mich gernhaben kannst?«
»Auf mich wirkst du wie einer der Kinderschänder aus den Märchen, die Haman immer Kerinnja erzählt hat.«
Das kränkte ihn, ich merkte es sofort, und es tat mir leid, dass ich das gesagt hatte. Es war überhaupt nicht entelechisch. Aber vielleicht war es doch gut, denn ich hatte nun keine Angst mehr vor ihm.
Er war ein alter, einsamer Mann mit einem Kindergesicht, der von den Albträumen seiner Kindheit gequält wurde. Was mochte er durchgemacht haben, dass er so geworden war, wie er war?
»Warum hast du das getan, Frath?«, fragte ich. »Oder verrätst du mir deinen richtigen Namen?«
»Frath Koban heiße ich nur für deinen Vater«, antwortete er. »Nenne mich einfach Boyt.«
»Dann gibt es dich wirklich?«, wunderte ich mich.
»Warum sollte es mich nicht geben?«
»Die Loower bezweifeln deine Existenz«, sagte ich, und an seinem zufriedenen Lächeln merkte ich, dass dies genau in seinem Sinn war. Ich hätte das wohl besser nicht sagen sollen. »Ist es wahr, was man von dir erzählt?«
Er wischte mit der Hand durch die Luft.
»Du darfst nicht alles glauben.« Er seufzte, und ich hatte den Eindruck, dass ihm der Gedanke Unbehagen zu bereiten schien, dass ich schlecht von ihm denken konnte. »Es kommt immer darauf an, von welchem Gesichtspunkt man die Dinge betrachtet. Du hast von mir nichts zu befürchten, Baya.«
»Ich fürchte mich nicht.«
Das schien ihm wiederum nicht zu gefallen.
»Was albere ich überhaupt mit dir herum?« Als er sich mir diesmal zuwandte, hatte sein Jungengesicht einen grausam-verhärmten Zug. Er war wütend, aber nicht auf mich, sondern ganz allgemein. Ich betrachtete ihn neugierig, und das schien ihn noch zorniger zu machen.
»Schluss damit!«
Es war offensichtlich, dass er sich selbst zur Ordnung rief. Er war plötzlich ein ganz anderer. Ich meine damit, dass sich etwas in seinem Wesen wandelte und sich seine Einstellung zu mir änderte.
»Ich lass mich doch nicht von einem Naseweis wie dir aus der Fassung bringen!«
Aber dass er diesen Beschluss überhaupt laut aussprach, zeigte mir, dass es ihn mehr Überwindung kostete, als ihm lieb war. Immerhin, es half ihm. Er hatte auf einmal etwas Dämonisches an sich. Der Blick seiner Augen wurde noch kälter. Sie wurden dunkel und hart wie Lavastein und wirkten dadurch umso lebloser. Zwei harte Steine aus toter Materie, aber mit unheimlicher Suggestivkraft. Ich blickte sie fasziniert an.
»Du magst mich, Baya«, sagte er mit einer Stimme, die zum Ausdruck seiner Augen passte. »Du hast keine Furcht vor mir und keinen Abscheu. Du liebst mich wie deinen Vater. Noch mehr, denn ich stehe dir näher.«
Er hatte auf einmal drei Augen. Eines davon trug er auf der Stirn, in den seltsamen Helm eingebettet. Es faszinierte mich mehr als seine Steinaugen. Aber es hatte dieselbe geringe Wirkung auf mich.
Dann kam noch ein viertes Auge dazu. An seinem Halsansatz tauchte es auf und bildete mit dem Helmauge und seinem Nasenrücken eine gerade Linie. Es war kein so geschliffener Stein wie die anderen, sondern ein großer, unbehauener Klumpen. Und ein ulkiger Zwerg winkte daraus.
Ich musste lächeln und winkte zurück.
Das ließ Boyt aufschreien. Er stieß einen kehligen, unartikulierten Schrei aus. Dann sagte er etwas, aber es klang viel zu undeutlich, als dass ich es hätte verstehen können. Aus seiner Stimme klang Unmut.
»Boyt, was hast du?«, fragte ich.
Daraufhin wurde er noch wütender. Auf seinem weißen Gesicht bildete sich Schweiß. Seine Augen schauten völlig entseelt, die kältesten Pole im Universum. Etwas kam daraus auf mich zu und versuchte, auf mich überzugreifen. Ich wehrte mich nicht dagegen, ich erwartete das Etwas furchtlos. Aber irgendwie prallte es immer wieder von mir ab, und ich spürte nur seine
Weitere Kostenlose Bücher