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Silberflügel: Roman (German Edition)

Silberflügel: Roman (German Edition)

Titel: Silberflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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lassen.
    Die Eulen waren weggeflogen.
    Mit schmerzendem Körper gesellte sich Schatten zu den anderen Fledermäusen, die sich teilnahmslos in den Baumwipfeln zusammendrängten. Er wünschte, er wäre blind und müsste nicht ihre Gesichter sehen, den schockierten und wütenden Gesichtsausdruck, oder wie die Mütter ihre Flügel fester um die Jungen legten, als ob er sie allein durch seine Blicke irgendwie verletzen könnte.
    Er war erschöpft und wie gelähmt, konnte kaum glauben, was geschehen war, und starrte in die Flammen und den dichten Rauch, der von ihrer zerstörten Bleibe aufstieg. Sein ganzer brennender Ärger verflog, stattdessen fühlte er kalte Wut: Das haben die Eulen getan. Sie haben meinen Vater getötet. Und nun haben sie mein Heim zerstört, unser Heim.
    „Du hast Glück gehabt, dass du keinen Flügel verloren hast“, sagte Ariel, die neben ihm hing.
    Er knurrte nur, es war ihm alles egal.
    Er merkte, dass die anderen Fledermäuse sich von ihnen entfernten, auf andere Äste rutschten, lautlos auf andere Bäume flatterten. Hatten sie nicht gesehen, wie er gegen das Feuer angegangen war? Er hatte doch sein Bestes gegeben um es zu löschen!
    „Silberflügel!“ Es war Frieda, die über ihnen kreiste. „Wir müssen uns zum Felslager aufmachen. Wenn wir sofort aufbrechen, können wir bis zur Morgendämmerung die halbe Strecke schaffen und unterwegs eine zeitweilige Unterkunft finden.“
    „Du hast uns verraten, Frieda!“, schrie Bathsheba, erhob sich in die Luft und zog wütend ihre Kreise. „Schau dir die Überreste unseres Heims an! Silberflügel, wollt ihr immer noch Frieda als Führerin? Die große Führerin, die zugelassen hat, dass euer Heim abgebrannt ist? Sprecht!“
    Bruchstückhaft konnte man aus der Menge einzelne gemurmelte Bekundungen von Unzufriedenheit hören, wenn sich auch keine Stimme laut genug erhob, um einzeln wahrgenommen zu werden.
    „Meine Macht dauert nur so lange, wie ihr sie mir gebt“, sprach Frieda. „Aber lasst mich Folgendes sagen: Wir haben heute Nacht einen schrecklichen Verlust erlitten. Wir haben den Baumhort verloren, unsere Kinderheimstatt für hunderte von Jahren. Aber niemand ist getötet worden, wir haben kein einziges Mitglied unserer Kolonie verloren. Deshalb sage ich euch: Unsere Heimstatt können wir ersetzen, aber ihren Sohn hätte Ariel nicht ersetzen können. Ihr Mütter, wer von euch hätte denn sein Kind im Tausch gegen den Baumhort angeboten? Wer?“
    Schweigen hing über der unglücklichen Fledermausversammlung.
    „Wenn ich die falsche Entscheidung getroffen habe, dann sagt es mir jetzt. Aber solange ich die Erste unter den Ältesten bin, werde ich nie ein Leben preisgeben, so schrecklich die Folgen auch sein mögen. Ein einziges Leben ist wichtiger als jeder Unterschlupf. Ihr habt gute Gründe wütend zu sein. Richtet eure Wut gegen die Eulen, die dies getan haben, nicht gegen einen von euch. Jeder, der anders denkt, soll es sagen.“
    Schatten wartete, als sich das Schweigen qualvoll dehnte.
    „Wir haben eine lange Reise vor uns“, sagte Frieda. „Zum Felsenlager, um uns mit den Männchen zu treffen, und dann weiter nach Hibernaculum.“
    Langsam, aber mit grimmiger Entschlossenheit erhoben sich alle Fledermäuse der Silberflügelkolonie in die Luft, alle Jungen und ihre Mütter, die Alten und die Jungen. Frieda setzte sich mit den anderen Ältesten an die Spitze. Sie sang während des Fluges, einen hohen durchdringenden Ton, um ihre Flugbahn zu markieren.
    Schatten flog neben seiner Mutter. Niemals zuvor hatte er die Kolonie so bedrückt und still erlebt. Wie lange hatte er auf den Augenblick ihres Abflugs nach Hibernaculum gewartet! Der Gedanke hatte ihm Angst eingeflößt, aber auch freudige Erregung. Doch nun fühlte er sich abgestumpft und konzentrierte sich nur darauf, die Flügel auf und ab zu bewegen. Das Fliegen war jetzt eine freudlose Angelegenheit für ihn.
    Er konnte nicht umhin zurückzublicken, bis er nur noch das flackernde Rot der Flammen und die Rauchfahne sehen konnte, deren Dunkelheit die der Nacht übertraf.
    Als der Morgen dämmerte, lange nachdem die Silberflügel weggeflogen waren, brannte der Baumhort immer noch. Die großen Äste brachen und zerbarsten, bis schließlich der Baum umstürzte und seine Wurzeln aus Erdreich und Steinen herausriss und die Höhle darunter offen legte. Und hätte sich eine Fledermaus im Umkreis von tausend Flügelschlägen aufgehalten, dann hätte sie eine Million schwacher Stimmen

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