Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silberflügel: Roman (German Edition)

Silberflügel: Roman (German Edition)

Titel: Silberflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
Vom Netzwerk:
fragte Marina plötzlich. In der Ferne sah er dunkle Formen, die über helle Baumwipfel ausgebreitet waren. Er flog näher heran und es schnürte ihm die Kehle zu.
    Fledermausflügel. Flügel, nicht mehr an Körpern angewachsen. Sie waren an stachligen Ästen hängen geblieben und über den weißen Schnee verstreut. Er begann sie zu zählen, gab auf, als er bis sechzig gekommen war. An den Fellrändern konnte er erkennen, dass es Grauflügel gewesen waren.
    „Eulen“, sagte Marina. „Es waren viele.“
    Sie deutete auf ihre Losung im Schnee. Schatten konnte sich nicht überwinden näher hinzuschauen. Er wusste, was er dort sehen würde. Er kreiste und starrte wie hypnotisiert auf die Flügel. Sie mussten auf ihrer Wanderung gewesen sein, und die Eulen waren gekommen und hatten sie angegriffen und, wer weiß, wie viele, getötet. Und dann hatten sie sie an Ort und Stelle gefressen und als Erstes die Flügel abgerissen, weil an denen nicht genügend Fleisch war. Er hatte gesehen, wie Goth und Throbb das Gleiche mit Vögeln gemacht hatten.
    „Sie waren wahrscheinlich völlig ahnungslos“, sagte er und erstickte fast an den Worten. „Wegen des gesperrten Luftraums. Und die Eulen sind einfach gekommen und … haben sie abgeschlachtet.“
    „Ich hasse Goth und Throbb“, sagte Marina wild. „Das ist auch ihre Schuld. Wenn sie nicht diese zwei erbärmlichen Tauben umgebracht hätten, dann wäre dies hier nicht passiert.“
    Er hatte die ganze Zeit so etwas befürchtet, aber sich selbst etwas vorgemacht und gesagt, alle Fledermäuse würden schon vor dem Befehl der Eulen, den Luftraum zu schließen, herfliegen. Sie würden entkommen, wenigstens für den Winter, und sicher an ihren Ruheplätzen schlafen. Aber nicht diese Grauflügel. Und wer konnte wissen, wie weit die Sendboten der Eulen jetzt schon gekommen waren.
    Vielleicht sogar bis zu seiner eigenen Kolonie.
    Er knirschte mit den Zähnen. „Ich wünschte, ich wäre wie Goth. Ich würde sie alle töten, wirklich. Ich würde sie nur töten …“
    Marina flog zu ihm und kuschelte sich sanft an ihn.
    „Wir sollten hier verschwinden. Sie könnten zurückkommen.“
    „Ich will, dass sie zurückkommen“, wütete er. „Ich will eine kriegen, nur eine von ihnen …“ Und plötzlich schluchzte er und seine Worte flossen ineinander. Er hielt die Luft an und spannte den ganzen Körper, bis er aufhörte zu zittern. Stoßweise holte er Luft. Er wünschte, sie hätte ihn nicht weinen gesehen.
    „Es tut mir Leid.“
    Sie schüttelte den Kopf. „Was denn?“ Und er sah, dass auch ihre Augen vor Tränen glänzten. „Aber wir sollten wirklich los.“
    Nach einer Stunde Flug sagte sie: „Glaubst du, dass sie leben, Goth und Throbb?“
    „Du hast gesehen, wie der Pfeil ihn getroffen hat.“
    „Es ist nur, weil … sie wissen, in welche Richtung wir fliegen.“
    Der Gedanke war die ganze Zeit auch in seinem Hinterkopf gewesen, dass sie noch am Leben sein und seinem Stern folgen könnten.
    „Selbst wenn sie noch am Leben sind, haben sie möglicherweise aufgegeben und fliegen direkt nach Süden.“
    Marina nickte bereitwillig. „Sie sind nicht für die Kälte gemacht. Erinnerst du dich, wie sie die ganze Zeit gezittert haben? Ich glaube, ihr Fell ist nicht so dicht wie unseres. Im Dschungel brauchen sie das nicht.“ Sie machte eine Pause. „Meinst du, wir sollten unseren Kurs ändern, nur für den Fall?“
    „Täte ich gerne“, sagte er. „Aber wir würden uns bloß verirren.“
    „Was ist der nächste Orientierungspunkt?“, fragte sie. „Den hast du ihnen doch nicht auch noch gesagt, oder?“ In ihrer Stimme war der Anflug eines Vorwurfs zu hören.
    „Nein“, sagte er beleidigt. „Klangkarten sind das Geheimnis der Kolonien.“
    „Ja doch, ja doch. Also was ist es?“
    Schatten schloss müde die Augen und versuchte sich zu beruhigen. Er horchte: Die nächtliche Welt, die sich bis zum Horizont entrollte.
    Das langsam ansteigende Land, die Bäume eisbedeckt. Fels, der sich zum Himmel erhob, weiße Gipfel.
    „Wir steigen höher“, sagte er. „Die Erde reicht weit nach oben.“
    „Berge“, sagte sie grimmig.
    „Da ist mehr …“
    Das Heulen eines Wolfes.
    Dann, aus dem Nichts, türmte sich etwas Gewaltiges in der Dunkelheit auf, und alles, was Schatten sehen konnte, waren die beiden spitzen Ohren des Tieres, die auf ihn zuströmten.
    „Wölfe“, sagte er mit einem Ruck.
    „Was meinst du?“, fragte sie ungeduldig.
    „Man hört Wölfe.“ Es ergab

Weitere Kostenlose Bücher