Silbernes Band (German Edition)
den Sagas ist ja die Rede davon, dass sich das Erbe stetig abschwächte, vermutlich, weil es bloss von den Vätern an die Söhne weitergegeben wurde. Frauen scheinen diese Gene nicht zu erben, wie man an Rúna und Gæfa feststellen kann.“ - „Du glaubst gar nicht, wie froh ich darüber bin. Was für eine schreckliche Vorstellung, nach Hund zu riechen!“ – „Dann, mein Liebes, wärst du vermutlich von Heiðar verschont geblieben“, grinste Fionn und verschwand im Flur.
Rúna folgte ihm mit einem gerahmten Gemälde, das sie zu den beiden übrigen Landschaften in Öl an die Wand lehnte. Daneben standen einige Kisten mit Büchern, Schallplatten und allerlei Krimskrams, die Heiðar behalten wollte, sowie eine Kiste mit Lebensmitteln.
Sie spähte neugierig durch die geöffnete Schlafzimmertür. „Soll ich dir helfen?“ Fionn gab vor, sie nicht gehört zu haben. Er stand reglos an Kristíns Bett und verharrte in seinen Erinnerungen. Was wusste Rúna von seinem jahrhunderteschweren Schmerz, der niemals von Taubheit und Vergessen gemildert wurde? Der sich mit jeder Enttäuschung vervielfachte und immer wieder zum Beginn dieses Fluchs zurückführte. Als er durch eigene Schuld verlor, was er liebte. Wie er seither immer wieder glaubte, den Schmerz überlisten zu können. Zweimal hatte er die Eine gefunden, die sein Herz und seine Liebe aufwiegen konnte. Zweimal war ihm alles entglitten, als wollte Eibhlin ihn auf immer bestrafen, für die schändliche Art und Weise, wie er ihr den Tod gebracht hatte.
Er bückte sich nach dem Kopfkissen, zog es an sein Gesicht und suchte Trost im verblassenden Duft. Rúna stand still auf dem Flur und sah ihm dabei zu. „Komm her.“ Ihre leisen Schritte zögerten, doch es war nicht Angst, die sie hemmten, eher Scham, da sie ihn beobachtet hatte. „Sie roch nach Birke und dem arktischen Weidenröschen.“ – „Ich mochte sie“, erwiderte Rúna leise. „Heiðar trägt die Birke.“ – „Er riecht wie ein Herbsttag in der Heide.“ Ein sanfter Hauch rauschte ins Schlafzimmer, der Herbsttag legte behutsam einen Arm um sie und barg sein Gesicht in ihrem Nacken. „Flieder - Wollgras - Frühlingssonne.“ Dreimal presste Heiðar seinen Mund auf die warme Haut, brannte dreimal seine Liebe darin ein.
„Hallo Rúna. Darf ich dir auch einen Kuss geben?“, bat der uralte Teddy mit dem hellbraunen Pelz und küsste ihre Nase. „Wie niedlich! Den musst du behalten.“ Sie nahm das Plüschtier an sich und strich liebevoll über das staubige Fell. „Es hat mich ausserordentlich gefreut, dass Kristín dir dieses Geschenk überlassen hat.“ - „Du hast ihn mir geschenkt?“ – „Diese kleine Aufmerksamkeit zu deiner Geburt hat sie mir zugestanden. Danach verbot sie mir, dir weitere Geschenke zu machen. Du hättest wohl irgendwann Fragen gestellt.“ Heiðar rieb sich über die kaum sichtbaren Bartstoppeln. „Warum konnte sie es nicht zulassen? Warum durften wir keinen Kontakt haben? Das macht mich echt fertig!“ Rúna versuchte, den Schmerz aus seinem Gesicht zu streicheln. „Lass es gut sein, mein Sohn“, beschwichtigte Fionn. „Für mich zählt, dass wir nun Gelegenheit haben, Zeit miteinander zu verbringen.“
Heiðar seufzte ergeben: „Du sollst einige Erinnerungsstücke haben. Such dir aus, was immer du möchtest.“ Fionn ging zum Schrank, öffnete die linke Tür und holte eine weisse Kleiderhülle heraus. Er hielt einen Moment inne, bevor er vorsichtig den Reissverschluss der Hülle öffnete. Zum Vorschein kam ein wunderschönes, schmal geschnittenes, eisblaues Abendkleid. Er strich mit der Hand über den feinen Stoff, schloss die Augen und atmete tief ein.
„Dieses Kleid hat Kristín in jener Nacht getragen, als sie meine Gefährtin wurde.“ Er sprach leise, erinnerte sich an jede Einzelheit. Wie wunderschön sie aussah in diesem Kleid, das er ihr geschenkt hatte. Die Farbe der Seide passte zu den hellblauen Augen, die ihn in ihren Bann gezogen hatten. Nicht nur er hatte sie gebannt, ihre Blicke hatten ebenso eine ungeheure Macht auf ihn ausgeübt. Eine Macht, derer sie sich nicht bewusst gewesen war.
Fionn erinnerte sich daran, wie er Kristín im Arm hielt, als sie stundenlang engumschlungen miteinander tanzten, ehe er sie ins Schlafzimmer führte, sie zärtlich küsste und mit kalten Händen über die kühle Seide strich. Als er langsam den Reissverschluss des Kleides öffnete und es über ihre zarten Schultern streifte. Wie sie sich zum ersten Mal
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