Silbernes Band (German Edition)
Reiseführer. „Schlawiner. Ich wusste doch, das etwas dahinter steckt.“ Sie küssten sich innig. „Da wollte ich doch sowieso hin“, raunte sie leise und hielt ihm einen Stadtplan vors Gesicht, wo die entsprechende Adresse bereits markiert war.
„Wir beginnen in Kürze den Sinkflug“, informierte wenig später die Flugbegleiterin und nahm ihnen die leeren Gläser ab. Also rutschten sie brav in die tiefen Polster zurück und schnallten sich an. „Darf ich sie bitten, den Sitz senkrecht zu stellen?“, wurde Fionn mit freundlichem Lächeln aufgefordert. Rúna sah deutlich, wie seine Augen blitzten und wie er die Nasenflügel anspannte, als die aparte Blondine sich über ihn beugte und ihn dabei leicht am Arm berührte.
Der Londoner Himmel war ungewöhnlich dunkel, beinahe schwarz, und es regnete in Strömen, als die Maschine zur Landung auf dem City-Airport ansetzte. Eine schwarze Limousine mit getönten Scheiben erwartete sie. Der etwas steife, aber überaus höfliche Chauffeur öffnete ihnen galant die Türen, damit sie Platz nehmen konnten, und kümmerte sich umsichtig um ihr Gepäck.
Während der Fahrt nach Mayfair blickte Rúna interessiert aus dem Fenster, um das geschäftige Treiben auf Londons Strassen zu verfolgen. Verglichen mit dieser Millionenstadt war Reykjavík bloss ein kleines Dorf.
Die Limousine hielt vor einem mehrstöckigen, weiss verputzten Stadthaus. Der steife Chauffeur öffnete wieder zuvorkommend den Fond des Wagens, damit sie aussteigen konnten, und hievte anschliessend die drei Koffer auf den regennassen Gehsteig. Fionn kümmerte sich um das Trinkgeld und entliess den Chauffeur mit einem Nicken.
„Bitte folgt mir.“ Seinen Koffer locker in der linken Hand, steuerte er auf die flachen Stufen zum Eingang zu. Heiðar schnappte sich Rúnas Rollkoffer, bevor sie danach greifen konnte und liess ihr höflich den Vortritt. Die Treppe führte unter ein Vordach auf wuchtigen weissen Säulen. Vom Treppenabsatz blickte man zur Wohnung im Souterrain hinunter. Sie war durch einen schwarzen Eisenzaun vom Gehsteig abgetrennt. Der Zaun hatte ein schmales Tor, wo ein paar Stufen zur Eingangstür der Kellerwohnung führten. Fühlte man sich nicht ein bisschen wie ein Nashorn im Zoo, durch Graben und Zaun von den Besuchern getrennt, wenn man da unten wohnte?
Fionns Wohnung schien in einem der oberen Stockwerke zu liegen, er öffnete nämlich gerade mit Schwung die schwarz lackierte Eingangstür mit goldfarbener Falle. Neben der Tür waren mehrere Messingschilder angebracht. Klingende Namen wie McCullough & Harker, Wandsworth & Stevens und J.P. Warren verwiesen auf Anwaltskanzleien und Vermögensverwalter. Rúna und Heiðar betraten staunend eine hohe und luftige Eingangshalle mit dunklem Marmorboden. Auf der linken Seite standen ein paar schicke dunkelrote Ledersessel und ein Tischchen mit Zeitungen, wo man sich gemütlich hinsetzen konnte, falls man zu früh zu seinem Anwaltstermin erschienen war.
Hinter einem Empfangstresen aus hellem Marmor sass ein älterer Mann in tadellosem Anzug. Als er ihr Eintreten bemerkte, erhob er sich eilfertig von seinem Drehstuhl und deutete eine leichte Verbeugung an: „Herzlich Willkommen in London, die Herrschaften. Mister Bradshaw, es freut mich ausserordentlich, sie wieder einmal hier begrüssen zu dürfen.“ Rúna musterte den freundlichen Portier: Er hatte volles graues Haar und jede Menge Lachfältchen. Sie fand, er sah eher aus wie ein lieber Grossvater denn wie ein pflichtbewusster Concierge. „Herzlichen Dank, Edward“, erwiderte Fionn die nette Begrüssung. „Darf ich ihnen meine isländischen Gäste vorstellen? Miss Pétursdóttir und Mister Kristínarson.“ Edward machte schon wieder auf Bückling: „Sehr erfreut. Bitte wenden sie sich jederzeit an mich, wenn sie ein Anliegen haben. Ich wünsche ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“ – „Hallo Edward“, erwiderten die unkomplizierten Isländer kurz und bündig. Sie fanden es reichlich ungewohnt, beim Nachnamen genannt zu werden. Edward wandte sich nach einem der Postfächer um, die an der Wand hinter seinem Arbeitsplatz angebracht waren, und entnahm einige Umschläge. „Bitte Sir, ihre Postsendungen.“ - „Danke, Edward.“ Fionn nahm die Umschläge entgegen und überflog kurz die Absender, bevor er Rúna und Heiðar zum Aufzug vorausging.
Um den Lift in Gang setzen zu können, brauchte man einen Schlüssel. Fionn holte seinen Schlüsselbund aus der Innentasche seiner Jacke und
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