Silbernes Band (German Edition)
in dem schicken anthrazitfarbenen Anzug mit dunkelrotem Hemd. Bisher kannte sie ihn nur in Jeans. Hoffentlich merkte er nicht, wie aufgeregt sie war. Ihre Hände waren eiskalt, und ihr Herz klopfte heftig. Die drei Männer an der Tür lächelten - der Eine ganz besonders. Seine kratzigen Bartstoppeln waren verschwunden. Ob sie ihn küssen sollte?
„Hallo Rúna.“ Für einen winzigen Moment fühlte sie seine Hand auf ihrer Schulter und seine Lippen auf ihrer Wange. Die Berührung und der scheue Kuss waren bloss ein Hauch, die Andeutung einer Liebkosung. Ihr blieb kaum Zeit sie zu erwidern, er richtete sich gleich wieder auf, trat einen Schritt zurück und strahlte. Snorri und Palli wechselten einen vielsagenden Blick. Rúna schlüpfte in ihre Stiefel und liess sich von Heiðar in den Mantel helfen. „Viel Spass, ihr beiden!“ Snorri und Palli winkten sie fröhlich zur Tür hinaus. „Ciao.“ Als sie die Treppen hinuntereilten, fasste Heiðar ganz leicht an ihren Ellbogen. Sein sportlicher blauer Wagen parkte direkt vorm Haus. Er öffnete erst zuvorkommend die Beifahrertür für sie, bevor er sich zur Fahrerseite begab um einzusteigen, den Motor startete und über den Laugavegur ins Stadtzentrum fuhr.
Er hatte im Lækjarbrekka reserviert. Kerzenlicht und romantische Atmospähre inklusive. Heiðar nutzte die Gelegenheit, Rúna den Mantel abzunehmen, bevor sie zu dem schön gedeckten Zweiertisch am Fenster geleitet wurden. Zu den Speisekarten gab es Champagner. Sie bestellten beide den Lammrücken mit Gemüse und Kartoffelgratin, davor einen Salat. Rúna wünschte das Fleisch medium gebraten, Heiðar mochte es blutig – was sonst! -, dazu einen exquisiten französischen Rotwein und Wasser. Rúna war froh, ihre Hände und ihren Mund mit Besteck und Salat beschäftigen zu können. Jedesmal, wenn sie in Heiðars wunderschöne Augen blickte, wurde ihr richtig schummrig zumute. Ihre Kehle schien heute zugeschnürt, dafür war der nervöse Herzschlag ziemlich gesprächig. Also heftete sie ihren Blick lieber an die rote Rose in der kegelförmigen Vase. Seine Augen hingegen wollten keine Sekunde damit verschwenden, etwas anderes anzusehen als das bezaubernde Gegenüber. Der runde Ausschnitt ihres Kleides liess die zarten Schlüsselbeinknochen hervorlugen. Wenn er bloss seine Hand dort entlangfahren lassen dürfte. Dabei würde er seinen Ringfinger unterhalb des Knochens hindurchführen, durch diese süsse kleine Mulde, wo ihr Blut an die Haut klopfte.... Er mahnte sich, nicht ständig an diese Dinge zu denken. Besser, er hielt das Gespräch in Gang, damit sie sich nicht plötzlich sprachlos gegenübersassen.
Die Salatteller wurden abgeräumt. „Erzähl mir, was du magst.“ Rúna biss sich leicht auf die Unterlippe. „Hmm, ich mag es draussen zu sein, am liebsten zu Pferd. Wenn ich mit Hnota ausreite, dann ist es so, als ob wir Eins wären. Wir laufen schnell wie der Wind.“ - „Ich weiss, was du meinst, obwohl ich mit Reiten nichts am Hut habe. Ich fühle mich auch am wohlsten draussen in der Heide. Es ist das Grösste für mich, wenn ich den Wind atmen kann und dem Wetter ausgesetzt bin. Dann bin ich im Gleichgewicht.“ Rúna nickte lächelnd: „Es ist ein Gefühl von Geborgenheit. Ich bin nur ein kleiner Mensch, inmitten der Natur. Als ich in Deutschland lebte, bin ich oft in die Wälder gegangen. Dort, zwischen den hohen Bäumen habe ich diese Geborgenheit ganz besonders gespürt. Nach meiner Rückkehr habe ich den Wald schrecklich vermisst.“
Heiðar konnte sein Glück kaum fassen. Rúna war nicht nur, was ihr köstliches Blut anbelangte, seine absolute Traumfrau. Sie liebte die Natur genauso und fühlte dieselben Dinge wie er, obwohl sie ein Mensch war. „Du hast Recht. Dass es keine grossen Wälder gibt, ist einer der wenigen Nachteile an Island. Meinen Urlaub verbringe ich oft in waldreichen Gegenden. Ich finde dort zur Ruhe. Es ist wie eine schützende Hülle um mich herum.“
Natürlich konnte er ihr nicht erzählen, was er sonst noch so machte, wenn er sich in die Wälder begab. Doch er sah einen Hoffnungsschimmer, dass sie vielleicht mit seinem Geheimnis leben konnte. Möglicherweise konnte Rúna genügend Verständnis dafür entwickeln, was er war. „Wir sollten unbedingt einmal gemeinsam in die Natur gehen. Hast du Lust, mit mir eine Wanderung zu machen?“ - „Warum nicht? Das wäre bestimmt sehr schön“, meinte Rúna lächelnd, mahnte sich aber, nicht zuviel Euphorie zu zeigen. Heiðar
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