Silberstern Sternentaenzers Sohn 06 - Annit und der Geschichtenerzaehler
gleichmütig. „Weibliche Intuition“, murmelte sie.
Mit leisem Murren löste sich die Versammlung schließlich auf. Die Männer griffen nach den Kamelen und zogen mit ihnen in die Wüste.
„Wohin gehen die?“, wunderte sich Annit.
„Sie suchen Steine und Holz, um unser Lager zu befestigen.“ Ein etwas spöttisches Lächeln umspielte Yussufs Lippen. „Damit wir sicher sind, wenn der große Sturm kommt.“
„Sie glauben nicht daran“, murmelte Annit vor sich hin.
Yussuf schaute sie an, als habe sie vier Köpfe und acht Augen. „Natürlich nicht! Wir leben in der Wüste, du nicht! Du stammst aus dem Westen, aus der Stadt, du hast keine Ahnung!“ Damit machte er kehrt und rannte davon.
Mannito sah ihm nach. „Puh, wenn jetzt doch kein Sturm kommt?“
„Silbersterns Träume werden immer wahr“, erwiderte Annit leise.
Der große Sturm
Den ganzen Tag über waren die Beduinen damit beschäftigt, ihren Rastplatz zu befestigen. Sie stellten Zelte auf und spannten sie fest, pferchten die Schafe zusammen in ein Zelt, brachten die Kamele und Pferde in einem anderen unter und verstauten alle Habseligkeiten im Inneren der Zelte. Fast alle Beduinen. Nur eine Familie weigerte sich, auf die Worte eines Mädchens zu hören. Der Familienvater stand demonstrativ mit verschränkten Armen vor seinem unbefestigten Zelt und beobachtete die anderen mit einem höhnischen Grinsen.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit half Annit Alisha dabei, das Abendbrot vorzubereiten. Die Mädchen bestrichen Brote mit flüssiger Schafsbutter.
„Wie hast du es geschafft, dass der Stammesfürst auf dich hört?“, wunderte sich Alisha. „Du bist eine Fremde, und du bist ein Mädchen.“
Weil ich ein magisches Pferd besitze, das mir im Traum Botschaften übermittelt und euer Stammesfürst davon weiß, dachte Annit. „Keine Ahnung“, sagte sie laut. „Wie geht es Ilia?“, fragte sie dann, um vom Thema abzulenken.
Alisha kicherte und malte wieder ein Herz in die Luft. „Sie hat Hamsa getroffen und ist froh.“
„Gut“, nickte Annit und lauschte angestrengt nach draußen. Doch es waren keine ungewöhnlichen Geräusche zu hören.
Nach dem Abendessen versammelte sich der ganze Stamm um das Lagerfeuer. Annit saß zwischen Mannito und dem Stammesfürsten. Das Feuer loderte hell, und die Beduinen unterhielten sich. Es war ein Abend wie jeder andere. Beinahe. Denn immer wieder richteten sich fragende Blicke auf Annit, dann in den Himmel. Der Himmel schien wie an jedem anderen Abend auch. Nachtblau und sternenklar. Und es sah ganz und gar nicht so aus, als würde sich bald ein heftiger Sturm zusammenbrauen.
„Was ist, wenn doch kein Sturm kommt?“, raunte ihr Mannito ein wenig bang zu.
„Keine Ahnung!“, gab Annit zurück. „Ich weiß es doch auch nicht!“ Auch ihr war allmählich ein wenig mulmig zumute. Wenn diese Nacht ruhig bleibt, werden mich alle hassen und verachten, dachte sie. Dann haben wir einen Tag und sehr viel Kraft vergeudet. Ihr Blick wanderte zum Stammesfürsten. Es ist aber auch blöd für ihn, überlegte Annit angespannt. Immerhin hat er mir geglaubt. Mehr als seinen Leuten. Bestimmt sind dann alle sauer auf ihn. Vielleicht kann er dann kein Stammesfürst mehr sein? Vielleicht ...?
Lautes Getrommel riss Annit aus ihren Gedanken. Es kündigte den Tanz der Beduinenfrauen an, die mit kreisenden Hüften um das Lagerfeuer tanzten.
Kurz vor Mitternacht zogen sich die Beduinen in ihre Zelte zurück. Nur der Stammesfürst und Annit blieben noch am Lagerfeuer sitzen. Der Himmel war nach wie vor tiefblau und sternenklar.
„Es sieht irgendwie gar nicht nach Sturm aus“, sagte Annit schließlich leise.
Der Stammesfürst drehte den Kopf. „Die Nacht ist noch lange nicht vorüber, Annit. Ich vertraue dir und den Träumen deines magischen Pferdes.“
„Und wenn nicht?“, fragte Annit.
Der Stammesfürst lächelte. „Du musst Vertrauen haben, Mädchen“, meinte er. „Und Geduld."
„Ja, ja, ich weiß schon“, gab Annit zurück und stieß einen tiefen Seufzer aus. Aus den Augenwinkeln schielte sie nach oben. Zum nachtblauen Himmel, an dem zahlreiche Sterne funkelten.
Der Stammesfürst folgte ihrem Blick und lächelte ihr aufmunternd zu. Dann erhob er sich und zog sich in sein Zelt zurück. Auch Annit stand auf. Sie schlenderte in das Zelt, in dem die Pferde unterbracht waren, und schlang die Arme um Silbersterns Hals. „Ist es wirklich das, was
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