Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
Gartenschlauch, aus dem in hohem Bogen ein dünner Strahl gespritzt kam. Damit fuchtelte er wie ein Dirigent in der Luft herum. Aus einem CD -Player drang klassische Musik. Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen .
»Ist das nicht dieser berühmte deutsche Maler?«
»Welcher?«
»Der, der immer von der Diktatur der Kunst quasselt.«
» Ist er nicht«, sagte ein Mann, der jetzt hinter Plotek und Vinzi auftauchte. Er trug einen perfekt sitzenden grauen Anzug, ein weißes Hemd und eine Krawatte mit bayrischem Rautenmuster drauf. Dazu gegelte Haare und eine modische, aber dezente Brille. Er sah ein wenig aus wie Lothar Matthäus. Das war aber nicht Loddar – » I look not back, I look in front« – , das war …
Ist das nicht unser ehemaliger Verteidigungsminister?, überlegte Plotek. Dieser von und zu, der wegen einer Plagiatsaffäre zurücktreten musste?
»Er sieht auf jeden Fall genauso aus«, sagte Vinzi, unklar, ob er dasselbe wie Plotek dachte oder noch immer den herumstolzierenden Mann im Trainingsanzug meinte.
»Sie meinen wohl Jonathan Meese?«, fragte der Mann mit der Gelfrisur besserwisserisch. »Der da …«, er zeigte auf den Zauselbart, »… behauptet zumindest, nicht Jonathan Meese zu sein, sondern Jagoda Muuse.« Der Mann lächelte süffisant und erinnerte dabei noch mehr an den ehemaligen Verteidigungsminister.
»Und was macht der hier?« Vinzi zeigte wieder auf Jagoda Muuse, den Mann mit dem spritzenden Schlauch in der Hand.
»Malen.«
»Malen?« Verwunderung bei Vinzi. Ebenso bei Plotek.
Jetzt erst erkannten Plotek und Vinzi im Schnee dunkle Spuren, die offenbar der Strahl aus dem Schlauch hinterlassen hatte. Es war eine Art Muster, das sich auf der ganzen schneebedeckten Fläche verteilte.
»Ist das Farbe?«
Der Gegelte schüttelte den Kopf.
»Was dann?«
»Riechen Sie mal.«
Plotek nahm einen tiefen Atemzug.
»Das riecht eindeutig … verzeihen Sie … nach Arsch.«
Der Mann bestätigte mit einer ebenso eindeutigen Kopfbewegung. »Exkremente.«
»Was?«
»Scheiße?«, versuchte Vinzi zu übersetzen. Er sprach das Fragezeichen mit, als könnte er es selbst auch nicht glauben.
Der Mann signalisierte erneut mit einer Kopfbewegung, dass die beiden absolut richtig lagen. »Und Urin.«
Plotek und Vinzi kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus.
»Es sind die Fäkalien aus der hoteleigenen Kanalisation. Sie sind verdünnt und mit ein wenig Farbe versetzt worden.«
Jetzt sahen die beiden noch faszinierter Jagoda Muuse im Trainingsanzug zu, der mit seinem Schlauch wie mit einem Pinsel malte. Mit diesem Wissen blickten Plotek und Vinzi ganz anders auf das im Schnee hinterlassene Werk.
»Das ist ein Reh!«, kam verwundert von Plotek.
»Wo?«
»Da im Schnee«, sagte er und zeigte auf die Wiese, in der Muuse herumturnte. »Der … der … der malt ein … Reh!«
»Hmm, ja, könnte man so interpretieren«, bestätigte der Mann mit den gegelten Haaren.
Vinzi schüttelte den Kopf. »Das könnte aber auch ein Wildschwein sein, ein Fuchs, ein Hase, das Konterfei des Verteidigungsministers …«
Der Gegelte zuckte zusammen.
»… ein Baby, die eingestürzten Twin Towers. Eigentlich alles.«
»Sehen Sie den kleinen Hubschrauber da oben?«
Der Mann zeigte hoch über die Bäume. Plotek und Vinzi starrten zum Himmel. Über ihnen kreiste tatsächlich ein Modellhubschrauber, der von einer alten Frau, die ganz in Schwarz gekleidet war und am Rand der Wiese an einem Baum stand, gesteuert wurde.
»Das ist seine Mutter«, sagte der Mann und deutete auf die alte Frau.
»Vom Maler?«
»Genau.«
»Und was macht die da?«
»Die fotografiert das Gemälde.«
»Welches Gemälde?«, fragte Vinzi.
»Das Reh!«, sagte Plotek, während Vinzi die Augen verdrehte.
»Das Werk, das ihr Sohn mit dem Schlauch in den Schnee malt.« Der Mann zeigte wieder hinauf zum Hubschrauber, der noch immer über der Wiese kreiste. »Am Hubschrauber befindet sich eine hochauflösende Kamera. Die schießt zehn Bilder in der Sekunde. Diese Bilder werden dann auf metergroße Leinwände gedruckt.«
»Eines der Bilder wird unser Hochzeitsgeschenk sein«, sagte Beat, der plötzlich auf der Terrasse auftauchte und sich zu den dreien gesellte. Er zündete sich eine Zigarette an.
»Jagoda ist genial.«
Der Maler Muuse schien mit dem Gemälde nun endlich fertig zu sein. Der Strahl aus dem Schlauch versiegte. Zum ersten Mal sah er die Zuschauer auf der Terrasse an. Er warf den Schlauch in den Schnee und kam mit schnellen
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