Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
Schritten und wehenden Haaren auf sie zugerannt. Sein Trainingsanzug war von oben bis unten mit dem Farbgemisch beschmutzt. Muuse roch stark. Nicht gut, eher unangenehm. Nach Arsch. Er umarmte Beat herzlich und drückte sich an ihn wie ein Kind an seine Mutter.
»Tut mir leid, ich konnte nicht zur Trauung kommen«, sagte der Maler. Er krächzte mehr, als dass er sprach. Seine Stimme schien in der Pubertät stecken geblieben zu sein. »Das Werk will vollendet werden.«
»Mama!« Muuse schrie es, viel zu hoch und schrill, wie ein Kind nach der mütterlichen Brust verlangt. »Mama, es reicht jetzt!«
Die Alte holte daraufhin den Hubschrauber vom Himmel. Es dauerte eine Zeit lang, bis sie es mit ihren zitternden Fingern schaffte. Der Hubschrauber landete neben Plotek, Vinzi, Beat, dem Mann mit den gegelten Haaren und dem Maler auf der Terrasse. Wobei alle fünf beim Landeanflug die Köpfe einziehen mussten.
»Ich geh dann mal duschen«, sagte der Maler und machte sich über die Terrasse davon.
Gute Idee, dachte Plotek.
»Bis später«, rief er den vieren zu, ohne sich umzuschauen, und hob dabei die Hand wie zu einem längst verbotenen Gruß.
Als Plotek und Vinzi zurück in den Speisesaal kamen, war das Essen längst beendet. Die Tische waren abgeräumt, und in der Mitte des Saals war auf einer großen Fläche der Tanz bereits in vollem Gange. Eine Musikkapelle spielte. Inmitten der Tanzenden sah Plotek Marlies, die ihre Arme um Klemens gelegt hatte und sich mit ihm an einem Walzer versuchte. Der aber kläglich scheiterte, da diese Art von Bewegung nicht gerade zu Klemens’ Spezialgebieten zu gehören schien. Auch Selina tanzte, mit einem Mann, den Plotek nicht kannte, während Dr. Wehrli noch immer abwesend am Tisch saß. Britta wiederum war mit dem Pfarr er auf der Tanzfläche zugange. In der Mitte des Saals stand das Brautpaar eng umschlungen und wiegte die Hüften.
Nach einer Weile machte sich Plotek auf den Weg zum Klo. Das viele stille Wasser in ihm brachte seine Blase beinahe zum Platzen. Unterwegs verlief er sich in den weitläufigen Gängen des Grandhotels. Was sicher auch mit Ploteks mangelhaftem Orientierungssinn zu tun hatte. Womöglich lag es aber auch an seiner nachlassenden Konzentration, den wackligen Knien, dem Blasendruck und den irritierenden Geräuschen, die er plötzlich hörte. Vor einer Tür, die nur angelehnt war, blieb er stehen. Das war aber keine Klotür. Weit und breit war keine Toilette zu sehen. Das war die Tür zu einer Abstellkammer. Plotek gab ihr einen kleinen Schubs, sodass sie einen Spalt weit aufging. Er konnte aufeinandergelegte Leintücher, Bett- und Kopfkissenüberzüge, Handtücher, Waschlappen und so weiter sehen. Alles weiß und in Regalen bis unter die Decke gestapelt. Nicht unbedingt aufregend, könnte man denken. Aber falsch gedacht. Denn Handtücher und Bettüberzüge geben für gewöhnlich keine Geräusche von sich. Aus der Kammer waren aber eindeutige beziehungsweise zweideutige zu hören. Atmen, Winseln, Wimmern.
Ein Tier womöglich?, dachte Plotek und schob die Tür noch weiter auf, sodass er in der Kammer den Ursprung der Geräusche erkennen konnte. Das war kein Tier, das waren zwei Menschen! Das war Beat, der ähnlich wie in der Futterhütte hinter einer Frau stand, die mit hochgeschobenem Kleid bereitwillig ihr nacktes, schönes Hinterteil präsentierte, als wäre es die Aussteuer. Das Kleid war aber nicht weiß und gehörte demzufolge auch nicht zur Braut. Das Kleid war rot und gehörte zu Selina, die jetzt in die Hand von Beat, die auf ihren Mund gepresst war, stöhnte. Beat vögelte Selina erneut von hinten, allerdings fiel jetzt kein Asiate vom Himmel. Und alle Gemütsäußerungen von Selina wurden von Beats Hand erstickt. Also nichts mit »schneller«, »härter« und dergleichen.
Ihre Hochzeitsnacht mit ihm, dachte Plotek und: der erste Ehebruch. Er stand noch immer im Türspalt und konnte sich an dem Geschlechtsverkehr nicht sattsehen. Das Verbotene reizte Beat, Selina und Plotek gleichermaßen. Das gibt es oft. Das Abseitige macht an. Sex in der Öffentlichkeit inspiriert, entflammt. Die Gefahr, entdeckt zu werden, geilt auf. Weswegen würden sich Beat und Selina denn sonst in Futterhütten und in Abstellräumen von Hotels vergnügen? Sichere Verstecke gab es für die beiden gewiss genug.
Gab es da nicht auch mal einen Tennisspieler, der in einem Abstellraum Befriedigung suchte und dann seinen Nachwuchs fand?, dachte Plotek und suchte, noch ehe die
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