Silver Moon
Slip; sogleich ging es mir besser. Sichtlich erholt kehrte ich ins Wohnzimmer zurück.
Anouk war bereits gegangen. Yuma saß alleine auf dem Bett. Das Aroma von frischer Minze erfüllte den Raum. Mein Geruchssinn folgte ganz automatisch diesem angenehmen Duft und ich sah zwei dampfende Tassen auf dem Nachttisch stehen.
»Weißt du noch, unser erster gemeinsamer Abend?«, fragte Yuma und deutete auf die Tassen. »Ja, du hattest uns damals auch Pfefferminztee gebrüht«, bestätigte ich und ging zu ihm.
»Eigentlich war das gar nicht unser erster Abend! Wir trafen uns schon viel eher. Ehrlich gesagt, war es an einem Morgen, als du mich fandst«, beichtete Yuma.
Seine Worte verursachten eine Gänsehaut bei mir.
Ich schauderte … Es war ein reflexartiges Zucken und es durchströmte meinen ganzen Körper. Yuma legte seinen Arm um meine Schulter und zog mich nah an sich heran. Ich genoss seine Wärme, kuschelte mich dicht an ihn, obwohl ich noch immer nicht verstand.
»Du bist Sakima? Sakima ist, bist DU? Wie ist so etwas möglich?« Yuma brauchte eine Weile, ehe er zu reden anfing. »Ich bin ich, aber Sakima gehört unweigerlich zu mir! In seiner Gestalt zu leben, ist die Strafe, von der Tunkasila erzählt hat. Ich muss am Tag als Wolf existieren, das war der Preis für mein Leben!«
»Und Sakima, den Wolf, gibt es gar nicht?«
»Im Grunde nein. Ihn an sich gibt es nicht! Ich bin es immer, wenn du den Wolf siehst! Meine Familie nannte mich damals nur Sakima, damit sie untereinander wussten, von welcher Gestalt meiner Person sie sprachen. Tunkasila wählte den Namen, da er ›König‹ bedeutet. Mir war es egal, wie sie mich nannten. Am Anfang fand ich die Strafe sehr hart. Ich wollte und konnte mich nur schlecht an das Leben im Körper eines Tieres gewöhnen. Zudem birgt es so manche Gefahr, wenn man als Wolf durch die Gegend schleicht, es sei denn, man möchte den ganzen Tag eingesperrt verbringen; aber das wollte ich nicht! Ich möchte nach draußen gehen, möchte die Sonne sehen, am Leben teilhaben, auch wenn ich dies in der Gestalt eines Tieres tun muss«, offenbarte er.
»Stimmt! Du bist ja immer nur in der Nacht da«, dachte ich laut nach und Yuma nickte. »Ich komme und gehe mit dem Mond! So- lange die Sonne scheint, darf ich nur als Wolf existieren. Wäre es andersrum, wäre es viel leichter! Das habe ich mir auch schon oft gewünscht, am Tage Mensch sein zu dürfen … Ja, das wäre sehr schön! Ich vermisse die Menschen, ich vermisse das Leben! Meine Familie akzeptiert mich so, wie ich bin; sie übersehen den Wolf in mir, oder versuchen es zumindest. Aber jeglicher Kontakt zu anderen Personen fehlt mir einfach. Du hast keine Ahnung, wie wundervoll es für mich war, als ich dich kennenlernte!«
Das waren so viele Informationen auf einmal. Die vergangenen Wochen liefen im Schnelldurchlauf vor meinem inneren Auge ab. Plötzlich machte so vieles Sinn, was ich nie verstanden hatte.
Sakima hört und sieht alles, was Yuma auch hört und sieht, fielen mir Bobs Worte wieder ein. Meine Güte, war ich die ganze Zeit so blind gewesen? Allein seine Augen hätten ihn verraten müssen, denn nur Yuma besaß diesen warmen lieben Blick; und wenn Sakima mich angesehen hatte, dann …
Wieder musste ich unbewusst mit dem Kopf schütteln. Es war schwer zu verstehen, sehr schwer. Mein gesunder Menschenverstand wehrte sich permanent gegen die Vorstellung, dass Yuma tagsüber als Wolf durchs Leben zog. Sakima und er waren für mich stets zwei verschiedene Charaktere gewesen, die ich über alles liebte. Ich habe nie die Verbindung gesehen! Mein Gott, was hatte ich Sakima nicht alles anvertraut! Scham stieg in mir hoch, obwohl es dafür viel zu spät war. »Warum hast du mir das nicht viel eher erzählt?«
»Wann denn? Als du beim Dakota-Fest vor meiner Tür gesessen bist, sollte ich da sagen: Schau mal genau hin, hier bin ich, heute ganz ohne Fell? Oder etwa in der Nacht, als ich dich zu Hause abholte, um dich zu uns zu bringen? Kira, du hast mir zu Beginn nicht annähernd so viel vertraut wie Sakima! Ihm hast du dein Herz ausgeschüttet, bei ihm hast du dich immer ausgeweint, ihm hast du blindlings in deiner Not vertraut. Und das war gut so! Nie zuvor war ich glücklich über meine Wolfsgestalt gewesen, bis zu dem Zeitpunkt, als ich dich traf! Ich liebe die Nächte als Mensch mit dir, aber ich mochte die Tage genauso, an denen wir zusammen waren! Mit der Wahrheit hätte ich nur alles kaputt gemacht, dich eingeschüchtert
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