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Silver Moon

Silver Moon

Titel: Silver Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elea Noir
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Was ist das für eine Strafe? Und was hat es mit diesem halben Leben auf sich?«
    Die Geschichte interessierte mich schon lange. Ich trank etwas von dem köstlichen Pfefferminztee, schüttelte das Kopfkissen auf und machte es mir bequem, um Yumas Schilderung lauschen zu können. Er legte sich neben mich und wir sahen uns dabei in die Augen, als er zu erzählen begann.
    »Ich war zwölf Jahre alt und ziemlich wild, hatte vor nichts und niemandem Angst. Im Reservat war Langeweile an der Tagesordnung, aber ich brauchte Action, musste ständig etwas erleben. Während Anouk immer brav zu Hause blieb und den Wünschen unserer Eltern folgte, waren für mich die Regeln nur gemacht, um sie zu brechen. Vater hat schon in South Dakota Pferde gezüchtet. Ich stahl mir oft eines der Pferde und verschwand tagelang damit in die Black Hills; das sind die heiligen Berge der Lakota-Sioux und viele Mythen ranken sich darum. Ich nahm all die Erzählungen nicht ernst, obwohl mich Tunkasila immer davor warnte, die spirituellen Orte unwissend zu betreten. Daher schwieg ich und erzählte nichts von dem, was ich dort tat; ich erzählte auch nicht, dass mich ständig ein Wolf verfolgte, wenn ich in den Black Hills unterwegs war. Dieser Wolf war mein Geheimnis! Eines Tages geschah es, dass ich unvorsichtig war und einen Abhang hinunterstürzte. Niemand war da, um mir zu helfen, keiner wusste, wo ich war …
    Vaters Pferd lief weg und ich hatte keine Kraft mehr, um mich selbst aus dieser Lage zu befreien. Ich konnte nicht mehr gehen, mich kaum noch bewegen. Derjenige, der in dieser Nacht zu mir kam, war der Wolf. Er legte sich zu mir, um mich zu wärmen, schützte mich vor den Kojoten, bis der neue Tag anbrach, aber selbst dann wich er nicht von meiner Seite. Er bewachte und schützte mich, ganze drei Tage lang, bis Vater und Großvater endlich kamen. Dad war dummerweise schneller als Tunkasila, er blickte in die Schlucht und sah mich dort verwundet liegen, neben mir saß der Wolf! Er zog einen falschen Schluss, löste sein Gewehr und schoss, ohne nachzudenken, auf den Wolf. Er starb und ich starb auch, denn dieser Wolf war mein Totem!«
    Ich blickte Yuma verwundert an. »Dein was? Totem?«
    »Ja! Ein Totem ist eine Art persönlicher Schutzgeist. Jeder Mensch hat ein Totem von Geburt an. In eurer Welt würde ich es als Schutzengel bezeichnen, aber bei den Indianern sind Totems häufig Tiere. Jeder Mensch hat seinen persönlichen Helfer, seinen Hüter, Beschützer, der von Geburt an über ihn wacht. Oft geben sie sich nicht zu erkennen und du musst nach ihnen suchen, sie über Visionen entdecken. Totems können auch Pflanzen, Berge oder eine Eigenschaft sein, etwas, das den Sinn deines Lebens verkörpert und an deiner Seite steht. Mein Totem war der Wolf, er gab sich mir zu erkennen und wachte über mich. Aber als er starb, starb ich mit ihm.
    Tunkasila erkannte sofort, wen Dad da erschossen hatte. Er nahm mich und den Wolf mit an einen heiligen Ort in den Black Hills. Dort führte er eine Zeremonie durch, um mich ins Leben zurückzuholen. Mein Großvater stand in engem Kontakt zu der Geisterwelt und es gelang ihm das Unglaubliche; ich bekam eine zweite Chance, aber der Preis dafür war sehr hoch. Die Bedingung bestand darin, mein Leben fortan mit dem Wolf zu teilen. Ein Mensch darf ich nur noch während der Nacht sein, am Tage muss ich in Gestalt meines Totems leben. Das meinte auch Tunkasila, als er sagte, ich hätte nur noch ein halbes Leben – das ist ja auch so!«
    Ich lauschte seinen Worten, sie trafen mich und Yuma tat mir leid. »Ist das für immer? Wenn jemand büßen muss, ist doch irgendwann mal Schluss, oder? Eine Strafe währt doch nicht ewig!«
    Yuma lachte bitter auf. »Diese schon! Die andere Seite wertet es nicht als Strafe, sondern als Geschenk, denn im Grunde wäre ich ja gar nicht mehr hier! Allerdings fühle ich mich schon bestraft. Wenn ich wenigstens am Tage Mensch sein dürfte, wäre so vieles einfacher!«, sagte er traurig und mir brach es fast das Herz.
    »Aber wenn dein Großvater einen solch engen Kontakt zu dieser geistigen Welt hat, besteht eventuell ja doch eine Möglichkeit, diese auferlegte Last zu mindern, umzuwandeln, oder dich irgendwann komplett zu erlösen«, dachte ich laut nach.
    Yuma lächelte. Seine Fingerspitzen fuhren sacht über mein Gesicht und zeichneten die Konturen nach. »Eine einzige Möglichkeit gibt es, aber die ist so absurd, dass ich es aufgegeben habe, darauf zu hoffen!«, offenbarte er

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