Silver Moon
hart auf, schrie erneut, wurde aber erbarmungslos weiter mitgezerrt.
»Vater, lass ihn gehen! BITTE, so hör auf und lass ihn los!«, rief ich und rannte hinterher. »Nichts da, der Bastard kommt in den Hühnerstall, wo er hingehört! Da sollte er den Nachmittag verbringen und nun wird er die Nacht dort absitzen!«
»Nein, Vater, bitte! Es war meine Schuld, ich habe ihn weggeschickt! Ich gehe auch in den Hühnerstall, ich …«
»Halt’s Maul!«, fuhr er mich an und gab mir eine schallende Ohrfeige, dass ich glaubte, mein Kopf würde abgerissen. Ich schnappte nach Luft und versuchte es weiter. »Bitte, lass ihn los!«
Vater hielt plötzlich inne und stieß Nino grob zu Boden. Dann löste er seinen Ledergürtel und ich wusste, was kommen würde. Ich krümmte mich vor Angst, als er von Nino verlangte, sein T-Shirt abzulegen.
»Vater, tu’s nicht, bitte! So schlag mich, aber nicht ihn!«
»Wenn du nicht gleich deine verdammte Schnauze hältst, hole ich den Rohrstock – für euch beide!«
»Lass sein, Kira, ist schon gut!«, flüsterte Nino und stellte sich mit nacktem Oberkörper und gesenktem Kopf vor Vater, um seine Strafe entgegenzunehmen.
Die harten Schläge des Riemens trafen gnadenlos auf seine milchige Haut und färbten sie blutrot. Jeder Schlag, der Nino traf, traf auch mich im Herzen. Ich zuckte mehr als mein Bruder, der krampfhaft versuchte, keinen Laut von sich zu geben, als die Schläge des Gürtels auf ihn niederprasselten. Tränen flossen über meine Wangen und ich hielt mir die Hände vors Gesicht. Ich konnte diese Folter nicht länger mit ansehen und weinte, bis die peitschenden Geräusche endlich verstummten.
»Auf alle viere mit dir und jetzt kriech in den Stall, wo du hingehörst! Du wirst die ganze Nacht zusammen mit den Hühnern verbringen. Und erst, wenn ich es sage, kannst du zurück ins Haus! Mal sehen, wie es dir gefällt und ob du es jemals wieder vergessen wirst, den Hühnerstall zu putzen, wenn ich es befehle«, schrie Vater und versetzte Nino einen so gewaltigen Tritt, dass er gegen das Stalldach prallte und eine Platzwunde an der Stirn davontrug. Wie im Rausch griff ich zu Ninos Shirt, das am Boden lag, ging damit zu ihm und presste den Stoff auf die Wunde, um seine Blutung zu stoppen. Verweint hielt ich ihn in meinen Armen, als Vater mich grantig anfuhr.
»Was stehst du so blöd rum und hältst den Balg fest? Der soll sofort in den Hühnerstall oder ich lass meinen Gürtel noch mal tanzen. Und du, scher dich ins Haus und mach was zu essen, aber ich will Hochprozentiges dazu. Und jetzt geh endlich, du dumme Kuh!«
Ich wäre so gerne bei Nino geblieben und hätte ihn getröstet, aber ich musste Vaters Aufforderung folgen, wenn ich es nicht noch schlimmer machen wollte. Bedrückt schlich ich in die Küche und bereitete unter Tränen das Abendessen zu. Vater briet ich ein weiteres Steak und für meine Geschwister setzte ich eine Lasagne an, das war Ninos Lieblingsgericht. Dabei kam mir eine Idee. Ich eilte in den Keller und suchte den stärksten Rum, den ich finden konnte. Vater wollte Hochprozentiges, das sollte er haben! Immer, wenn er total betrunken war, legte er sich schlafen und ließ uns in Frieden; diese Hoffnung begleitete mich, als ich den Rum in einen Krug goss und ihn Vater mit einem passenden Kelch sowie dem Steak servierte. Meine Absichten sah Vater nicht kommen und er begann wie immer mit dem Alkohol.
»Mann, ist der gut«, stöhnte er und schenkte sich gleich nach. Erleichtert verließ ich das Wohnzimmer und traf auf Kai, der mich in der Küche erwartete. »Achtzigprozentiger … hoffentlich säuft er sich tot!«, säuselte Kai und drehte die leere Rumflasche in seiner Hand, um das Etikett zu studieren. »Vater soll nur schlafen. Ich will zu Nino, er braucht frische Kleidung und Decken. Er muss die Nacht im Hühnerstall verbringen und das ist alles meine Schuld!«
»Deine Schuld, Kira? DEINE? Pfff!«, stieß Kai abfällig aus.
»Natürlich! Ich hätte ihm nicht erlauben dürfen, zu diesem Flohmarkt zu gehen.«
»Gib dir nicht die Schuld für die Verbrechen, die der Alte uns täglich antut! Er ist ein Teufel und irgendwann schicke ich ihn dahin, wo er hingehört – in die Hölle!«
»Kai, sag das nicht immer!«
»Aber es ist die Wahrheit! Uns könnte es so gut gehen, wenn er nicht wäre!« Ja, leider war es die Wahrheit, aber ich pflichtete Kai nicht bei. Stattdessen bat ich ihn, Decken und Kissen zu holen. Ich wollte für Nino ein Nachtlager in dem
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