Skandal
Allein.« Der Junge sah Lizzie vielsagend an.
»Und was ist mit mir?« fragte Lizzie furchterfüllt.
»Sie sollen hier stehenbleiben und sich nicht von der Stelle rühren. Sie sollen warten, bis Ihre Herrin zurückkommt«, sagte der Junge barsch zu ihr. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und lief davon. Wenige Sekunden später war er wieder im Dickicht verschwunden.
Lizzie sah Emily kläglich an. »Ich will hier nicht ganz allein bleiben müssen, Ma’am.«
»Beruhige dich, Lizzie. Dir wird schon nichts passieren. Bleib hier, mitten auf dem Weg.«
»Aber, Ma’am...«
»Du mußt jetzt tapfer sein, Lizzie.« Emily tätschelte ihrer Zofe besänftigend den Arm und zog die Schultern zurück. Sie wünschte, es wäre jemand dagewesen, der ihr gut zugeredet hätte.
Es kostete Mut, den Weg zu verlassen und in das dunkle Wäldchen zu laufen. Das Dunkel wurde plötzlich dichter, als sich herunterhängende Äste um sie schlossen. Emily hielt ihren Fächer vor sich hin wie einen Talisman, und dabei sah sie scharf in das dichte Unter-holz. Unwillkürlich dachte sie wieder daran, was ihre Zofe ihr vorhin über Vergewaltiger erzählt hatte, die in diesem Dickicht lauerten.
Als eine tiefe, krächzende männliche Stimme leise hinter einem Baumstamm zu ihrer Rechten ertönte, zuckte Emily heftig zusammen.
»Sie sind wohl die Dame, die einen Entführer einstellen will?«
Emily schluckte und nahm wahr, daß ihre Handflächen plötzlich feucht waren. »Das ist richtig. Ich nehme an, Sie sind der, äh, der berufsmäßige Gauner, der eine Anstellung sucht?«
»Kommt darauf an, was genau Sie erledigt haben wollen.«
»Nichts furchtbar Schwieriges«, versicherte Emily der krächzenden Stimme. »Nur eine kleine Entführung, wie mein Diener Ihnen zweifellos berichtet hat. Es gibt da einen Gentleman, den ich gern für ein paar Tage aus der Stadt verschwinden sehen würde. Ich will nicht, daß ihm etwas angetan wird, verstehen Sie, sondern nur, daß er für, äh, sagen wir für fünf Tage an einem sicheren Ort festgehalten wird. Können Sie das tun?«
»Das wird Sie eine Stange kosten.«
Emily wurde etwas ruhiger. Jetzt hatte sie vertrauten Boden unter den Füßen. Anscheinend wurden Geschäfte in Verbrecherkreisen ganz ähnlich abgewickelt wie die, die man in der Hautevolee betrieb. »Ich verstehe. Natürlich bin ich bereit, eine vernünftige Summe zu zahlen. Aber ehe Sie mir Ihren Preis nennen, möchte ich Ihnen noch einmal klar und deutlich sagen, daß dieser Auftrag wirklich nicht mit Gefahren verbunden ist. Eigentlich eine ganz einfache Geschichte.«
»Warum fünf Tage?«
»Ich bitte um Verzeihung?« Emily zog die Stirn in Falten.
»Warum wollen Sie, daß dieser feine Pinkel fünf Tage von der Bildfläche verschwindet?« wiederholte die krächzende Stimme, die ungeduldig klang.
»Nicht, daß es Sie etwas anginge«, sagte Emily barsch, »aber ich schätze, daß es etwa so lange dauern wird, die Dinge hier in der Stadt zu regeln und das Problem aus der Welt zu schaffen. Wenn hier alles geklärt ist, dann kann Charles - das heißt, der >feine Pinkel< - ungefährdet wieder in seine Wohnung zurückkehren.«
»Sie sind nur eine Frau. Wie wollen Sie die Dinge hier für den jungen Burschen regeln? Oder haben Sie vor, mich auch dafür zu engagieren?«
»Oh, nein, ich werde Ihre Dienste nicht brauchen, um das eigentliche Problem zu lösen«, erklärte Emily unbeschwert. »Mein Mann wird sich bald darum kümmern. Er wird die Einzelheiten regeln. Wenn das geschehen ist, können Sie meinen Bru... äh, den >feinen Pinkel< freilassen.«
Auf der anderen Seite des Baumes trat Schweigen ein. Als die krächzende Stimme wieder etwas sagte, klang sie einigermaßen verblüfft. »Ihr Mann wird die Dinge regeln?«
»Ja, selbstverständlich.«
»Wenn das so ist, warum, zum Teufel, ist er dann heute nacht nicht hier? Warum trifft er nicht die Vereinbarungen für die Entführung?«
Emily räusperte sich. »Also, was das angeht, im Moment ist er ein bißchen böse auf mich. Er steht nicht voll und ganz hinter meinen Bestrebungen, diesen speziellen >feinen Pinkel zu beschützen, verstehen Sie. Aber er wird sich bald davon überzeugen lassen. Er braucht nur ein wenig Zeit zum Nachdenken.«
»Verflucht, Gnädigste, wie kommen Sie darauf, daß er es sich anders überlegen wird?« erkundigte sich die krächzende Stimme, die gereizt klang. »Glauben Sie etwa, Sie hätten ihn an die Leine gelegt? Sie glauben, er ist derart vernarrt in Sie, daß Sie
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