Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
zündete eine Reihe von Kerzen an, dann nahm er eine Decke von seinem Bett, wickelte Nell darin ein und setzte sie auf einen Stuhl nicht weit von dem flackernden Feuer. Er schlüpfte in einen Morgenrock und goss ihnen beiden einen großzügigen Schluck Brandy ein. Danach setzte er sich auf den Stuhl neben sie und fragte: »Wer von uns soll anfangen?«
»Du«, sagte Nell rasch, sie wollte den Moment so weit wie möglich hinausschieben, in dem sie ihren Albtraum erzählen musste.
Julian nickte und berichtete alles, was sich in dieser Nacht zugetragen hatte.
Nachdem er zu Ende erzählt hatte, rief sie: »Oh, man denke nur, dass ihr so dicht davor standet, ihn zu fassen!«
»Glaub mir«, erwiderte Julian, »ich habe mir tausend Mal gewünscht, dass wir vorher gewusst hätten, was Cesar vorhatte. Wenn wir alle zusammengearbeitet hätten …« Er schüttelte den Kopf. »Es ist unglücklich gelaufen, aber wir haben alle auch etwas dabei gelernt: Das Dower House spielt eine wichtige Rolle für ihn.«
»Denkst du, die Kerker aus meinem Albtraum sind dort?«
»Ja, allerdings. Es ist das Einzige, was Sinn macht. Und morgen habe ich vor, ernsthaft nach ihnen zu suchen.«
»Es muss einen Zugang vom Haus aus geben«, erklärte Nell langsam. »Als der Albtraum begann, befand er sich in etwas, das wie ein Tunnel aussah, ein sehr enger Gang. Ich weiß jetzt, nach dem, was du mir erzählt hast, dass er sich dort versteckt hat und auf Cesar gelauscht hat. Er hat lange dort gewartet, ich nehme an, er wollte ganz sicher gehen, dass die Gefahr der Entdeckung vorüber war, ehe er den Kerker aufsuchte.«
Den Blick auf ihr Gesicht gerichtet, erkundigte sich Julian behutsam: »Kannst du jetzt darüber sprechen?«
Nell nahm einen großen Schluck von ihrem Brandy. »Ja. Ja, ich denke schon. Ich muss.« Und so sagte sie ihm alles, was sich in ihrem Albtraum zugetragen hatte, und ihre Stimme brach ein wenig, als sie den Moment beschrieb, da sie dem Wahnsinnigen in die Augen gesehen hatte.
Als sie fertig war, fragte Julian: »Ich zweifle nicht an dir, mein Liebling, glaube das nicht, aber bist du dir sicher, dass er dich wirklich gesehen hat?«
Nell nickte. »Oh, ja. Er hat mich gesehen. Ich kann es dir nicht besser beschreiben, aber ich weiß einfach, dass er mich gesehen hat, mich erkannt hat.«
Stirnrunzelnd starrte Julian in sein halbleeres Glas. »Ich begreife es nicht einmal zur Hälfte, aber es scheint mir, als ob das Band zwischen euch nicht länger einseitig ist.« Er sah sie an, fluchte tonlos, als er das Entsetzen in ihrem Gesicht sah. Er stellte sein Glas ab, stand auf und hob sie hoch. Dann setzte er sich auf ihren Stuhl mit ihr auf dem Schoß. Seine starken Arme hielten sie sicher, während er eindringlich sagte: »Nell, ich werde nicht zulassen, dass er dir etwas tut. Das schwöre ich dir.«
Sie barg ihren Kopf an seiner Schulter, sodass ihr Haar ihn am Kinn kitzelte. »Ohne mich einzusperren oder mich unter ständige Bewachung zu stellen, kann ich mir nicht vorstellen, wie du das bewerkstelligen willst.«
»Sei nicht albern!«, erwiderte er, und die Angst ließ seine Stimme schärfer als beabsichtigt klingen. »Er wird dich nicht in seine Finger bekommen. Er kann dich nicht aus deinem eigenen Heim stehlen. Hier bist du sicher.«
Sie lächelte traurig. »Vielleicht. Aber vergiss nicht: Ich habe ihn nicht erkannt. Obwohl ich ihm direkt ins Gesicht geschaut habe, konnte ich nur seine Augen sehen, sonst nichts. Wir wissen wenig mehr, als dass er groß ist, gut gebaut und in der Blüte seiner Jahre steht - diese Beschreibung passt auf hunderte Männer.«
Dem konnte Julian nicht widersprechen, und zum ersten Mal verspürte auch er Furcht. Furcht, dass dieses namenlose Monster sie seinen Armen entreißen könnte, und unwillkürlich schloss er sie fester um sie. Nein, schwor er, der Schattenmann soll sie nicht bekommen.
Die nächste Woche war angespannt und frustrierend. Julian stand beim ersten Tageslicht auf und ging die alten Baupläne durch, die in seiner Bibliothek aufbewahrt wurden. Er hatte
ihnen nie sonderlich Beachtung geschenkt, aber jetzt war er sehr glücklich, dass sein Urgroßvater so pedantisch alle Aufzeichnungen gesammelt und aufbewahrt hatte. Als ihm eine Papierrolle mit der Aufschrift »Dower House« in die Hände fiel, war er sich recht sicher, dass der geheimnisvolle Platz des Kerkers bald enthüllt würde. Doch das war nicht der Fall. Die Pläne, die er überflog, behandelten den Bau des
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