Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
Und auch noch in einer so kompromittierenden Lage?«
Seine eigene nicht beneidenswerte Lage für den Moment vergessend, beobachtete Julian fasziniert die verschiedenen Gefühle, die über Miss Anslowes Züge glitten. Sie warf Julian einen wütenden Blick zu. »Ich kann jedenfalls nichts dafür, dass ihr uns in einer so peinlichen Lage gefunden habt.«
Julian bedachte sie mit einem strahlenden Lächeln und musste denken, dass sie wirklich ein ganz reizendes Ding war mit ihren elfenhaften Zügen und dem wirren dunkelblonden Haar. Was auch nur gut so war, entschied er mit einer gehörigen Portion Selbstironie, denn er hatte das starke Gefühl, zu wissen, worauf das hier hinauslief. Er seufzte. Er hatte sich eigentlich geschworen, nie wieder zu heiraten, aber das Schicksal schien andere Pläne mit ihm zu haben. Im Moment konnte er jedenfalls unter den gegebenen Umständen keinen anderen ehrenhaften Ausweg erkennen als eine Ehe. Und dann war da noch der Name Tynedale gefallen. Er war kein dummer Mann, und er hatte sich schon das meiste von dem zusammengereimt, was gestern geschehen sein musste. Tynedale
war der Entführer, aber das gewitzte Frauenzimmer war ihm entwischt und bis zu dem verlassenen Zollwärterhäuschen gekommen. Dass die junge Dame eine Erbin war, erklärte einiges; Tynedale hatte vorgehabt, sie zu entführen, zu kompromittieren und so zur Ehe zu zwingen. Julian betrachtete Nell, ihren hoch angesetzten Busen und ihre schlanke Figur, die ihr dünnes Nachthemd nur unzureichend verbarg.
Und wie er Tynedale kannte, und das tat er recht gut, war Tynedale nicht allein an ihrem Vermögen interessiert gewesen. Sie war attraktiv, und wenn er sie seinem Feind ausspannen konnte, dann war es kein zu hoher Preis, wenn er dafür Ehefesseln angelegt bekam.
Nell biss die Zähne zusammen angesichts von Julians Lächeln. Sie kehrte ihm den Rücken, sprach zu ihrem Vater und Bruder. Nachdem sie ihnen versichert hatte, dass sie Tynedale mit intakter Tugend entkommen war, berichtete sie, wie sie in dem Zöllnerhäuschen gelandet war. »Ich habe so tief geschlafen, dass ich ihn nicht gehört habe,« - sie bedachte Julian mit einem finsteren Blick - »als er hereinkam. Den ersten Hinweis darauf, dass ich nicht länger allein war, habe ich heute Morgen erhalten, als ich aufwachte.«
Sir Edward rieb sich das Kinn, blickte unglücklich von Julian zu Nell. Julian wusste, was ihm durch den Kopf ging.
Seufzend straffte er die Schultern und erklärte: »Sir Edward, ich verstehe Ihre Lage, und auch wenn nichts davon irgendjemandes Schuld ist außer Tynedales, bin ich bereit, das zu tun, was die Ehre verlangt, und Ihre Tochter zu ehelichen.«
»Sie heiraten?!«, rief Nell, und ihre grünen Augen blitzten verächtlich. »Das ganz sicher nicht, Mylord. Himmel, ich kenne Sie ja noch nicht einmal.« Ihr Blick wurde schmal. »Und das, was ich von Ihnen weiß, bewirkt, dass ich Sie noch
nicht einmal mag - Sie sind der letzte Mann in England, den ich heiraten würde!«
»Äh, ich fürchte, du hast in der Sache keine andere Wahl«, warf Sir Edward ein.
»Was soll das heißen?«, verlangte sie zu wissen, schaute vom einen zum anderen.
»Nell«, erklärte Robert. »Du warst die Nacht über mit ihm allein. Es ist egal, dass nichts zwischen euch passiert ist. Der Punkt ist, dass du mit ihm ohne Anstandsdame allein warst. Wenn das herauskommt, wirst du ruiniert sein.«
Nell hob ihr Kinn. »Das kümmert mich nicht! Ich werde ihn nicht heiraten. Mein Ruf gehört mir, und ich schere mich nicht darum, was Leute mit schmutziger Phantasie von mir denken.«
»Aber mich«, warf Julian mit seidenweicher Stimme ein. »Ich möchte weder, dass überall herumerzählt wird, ich verführte junge Frauen, noch würde ich absichtlich Schimpf und Schande über meine Familie bringen - selbst wenn Sie das in Kauf nehmen.«
Nell ballte die Hände zu Fäusten. »Ich würde nichts tun, was meine Familie entehrt - selbst«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, »wenn das bedeutet, dass ich Sie heiraten muss. Aber bedenken Sie, niemand außer uns weiß, was geschehen ist.« Sie blickte die Männer der Reihe nach an. »Und solange wir nicht darüber reden, muss es auch niemand erfahren.«
»Was ist mit Tynedale?«, gab Julian zu bedenken. »Er weiß es.«
»Er weiß aber auch, dass ich ihm entkommen bin, doch nichts von dieser Hütte - oder von Ihnen.«
Robert und Sir Edward wechselten einen Blick. »Wir kümmern uns um Tynedale«, erklärte
Weitere Kostenlose Bücher