Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
es, war sich des Umstandes bewusst … und das mit jedem Tag mehr.
Die Furcht, dass Julian immer noch seine erste Frau liebte, hatte tief in Nell Wurzeln geschlagen. Er war alles, was man sich bei einem Ehemann nur wünschen konnte, aber das war nicht wichtig, solange es keine Chance für sie gab, sein Herz zu gewinnen. Zugegeben, sie war halb in ihn verliebt, aber Lady Catherines unsichtbare Gegenwart verfolgte sie und half ihr, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Sie würde wegen keines Mannes zur Trauerweide werden, und sich auch nicht nach einem Mann verzehren, dessen Herz in einem Grab ruhte. Sie würde seine Frau sein in jeder Beziehung und seine Nähe genießen, aber sie würde sich nicht gestatten, ihn zu lieben. Nell sah keinen Sinn darin, einen Mann zu lieben, der eine andere liebte, besonders wenn diese andere eine Tote war.
Lady Dianas und Elizabeths Gesellschaft machte es ihr leichter, der Welt und damit auch ihrem Ehemann ein unbekümmertes Gesicht zu zeigen. Aber nachts, nachdem Julian gegangen war und sie allein in ihrem prächtigen Schlafzimmer lag, schmerzte ihr Herz, war ihre Kehle wie zugeschnürt und Tränen brannten in ihren Augen. Julians Liebesspiel vertrieb ihr Elend eine Weile, und sie konnte sich in seinen Zärtlichkeiten verlieren, dem Entzücken, das er ihrem Körper brachte, aber wenn er weg war … Wenn er ihr Bett verlassen hatte, fühlte sie sich leer, benutzt. Was sie taten, war nicht sonderlich anders als ein Hengst, der eine rossige Stute begattete, sagte sie sich und rieb die Tränenspuren von ihren Wangen. Lust trieb ihn zu ihr. Ein primitiver Instinkt. Der Trieb, sich fortzupflanzen. Das war alles, was zwischen ihnen existierte.
Es half auch nicht, sich daran zu erinnern, was für ein Glück sie hatte. Jene verhängnisvolle Nacht, in der Tynedale sie entführt hatte, hätte auch ganz anders ausgehen können. Tynedale hätte mit seinem niederträchtigen Plan Erfolg haben können. Ein anderer Mann, einer, der wesentlich weniger begehrenswert war als Julian, hätte ihr begegnen können. Statt Schande und Elend hatte sie einen reichen, adeligen Ehemann. Sie war eine Countess. Sie hatte ein elegantes Heim. Ihr Ehemann war gut aussehend, aufmerksam, freundlich. Aber das war nicht genug. Nein, nicht annähernd genug.
Ihre Gefühle belasteten sie; hinter der Fassade, die sie der Welt zeigte, fühlte sie sich müde, irgendwie unwohl, und obwohl sie ihre Tränen verbarg, lauerten sie dicht unter der Oberfläche.
Die Weihnachtszeit näherte sich, aber trotz des köstlichen Duftes von Tannengrün und Gewürzen in der Luft sank Nells Stimmung weiter. Sie versuchte sich an den Stechpalmen und den Mistelzweigen zu freuen, die überall im Haus verteilt waren, in frischen Girlanden entlang des Treppengeländers und um die Kaminsimse liefen, aber es nützte nichts. Es würde ihr erstes Weihnachten sein ohne ihre Familie, und sie hatte so schreckliches Heimweh.
Eines Morgens, ein paar Tage vor Weihnachten, schob Lady Diana, die gemerkt hatte, dass Nell mit ihren Gedanken nicht bei dem Bauplan war, den sie sich anschauten, die Blätter weg und erklärte: »Oh je! Ich bin es so leid, mir über die Veränderungen an meinem Haus den Kopf zu zerbrechen. Lasst uns heute etwas anderes tun!«
Nell, die in einem Kleid aus olivgrünem Kaschmir ganz reizend aussah, blickte zum Fenster, gegen das der Regen
prasselte. »Ein Spaziergang, ein Ausritt oder eine Spazierfahrt scheiden von vornherein aus. Das Wetter ist scheußlich!«
Elizabeth hob den Kopf, den sie über die Seidenmuster gebeugt hatte, und erklärte: »Ich gebe Nell Recht. Was sollen wir tun?«
Lady Diana schmollte einen Moment, dann hellte sich ihre Miene auf. »Wir könnten in den Wintergarten gehen. Das wird fast so sein wie ein Spaziergang an einem Sommertag.«
»Das haben wir gestern schon getan«, machte Elizabeth sie aufmerksam. »Schon vergessen?«
Lady Diana verzog das Gesicht. »Stimmt. Aber es muss doch noch etwas anderes geben, was wir unternehmen können, außer diese langweiligen Pläne und Bücher wieder und wieder durchzugehen.«
»Ich bin immer noch nicht dazu gekommen, mir das ganze Haus anzusehen«, begann Nell unsicher. »Vielleicht gibt es etwas, das Sie mir zeigen wollen?«
Lady Diana und Elizabeth wechselten einen verschmitzten Blick. »Haben Sie die Kerker schon gesehen?«
»K-kerker?«, wiederholte Nell, und Kälte breitete sich in ihrem Körper aus.
»Soll das heißen, Julian hat Ihnen noch gar
Weitere Kostenlose Bücher