Skin Game 02 - Verhängnisvoller Verrat
Hoffnung löste Beklommenheit in ihm aus. Er hatte geglaubt, über solche Fantasien hinwegzusein. Gedanken an ein Zuhause und eine Familie – das war nichts für jemanden wie ihn. Er hatte alles Verletzliche in sich vor langer Zeit abgekapselt. Doch die Erfahrung, sich selbst in ihren Augen zu sehen, haute ihn um.
Er holte tief Luft. »Jetzt schulde ich Ihnen eine Antwort. Stellen Sie die Frage.«
»Warum haben Sie ihn nicht selbst getötet?«
Natürlich eine Warum-Frage. So ließ sich mehr in Erfahrung bringen. Aber er würde sich an die Abmachung halten.
»Weil er leiden sollte.«
Er hätte mehr sagen können: Er hat Ihre Freundin nämlich geliebt. Als sie ihn sitzen ließ und sein Geld mitnahm, brach es ihm das Herz. Natürlich hat er sich alle Mühe gegeben, das vor mir zu verbergen. Aber ich bemerkte seine Wut und machte sie mir zunutze. Ich wollte ihn zerbrechen sehen, wie ich zerbrochen bin.
Er beobachtete, wie sie die Antwort auswertete, sie in das Bild, das sie bisher von der Situation hatte, einpasste. Sie war wirklich beeindruckend clever, wenn er sich nicht vorsah, würde sie ganz schnell alles vernichten, wofür er bisher gearbeitet hatte. Ihre Küsse waren nicht betörend genug, um dieses Risiko einzugehen.
Trotzdem wollte er es tun.
»Sehe ich jetzt aus, als hätte ich mit dem Chef geknutscht?«, fragte sie und überraschte ihn schon wieder.
Er hatte vermutet, sie würde von ihm verlangen, die Antwort weiter auszuführen. Doch sie schien damit zufrieden zu sein, sodass er sich jetzt fragte, welche Schlüsse sie daraus zog. Er konnte sie weder manipulieren noch war ihr anzusehen, was in ihr vorging, und das machte ihn unruhig; es war, als stünde er vor seinesgleichen.
Er betrachtete ihre geröteten Wangen, die zerzausten Haare, den verschmierten Lippenstift. »Ja. Zu dem Büro gehört ein eigener kleiner Waschraum, hinter dieser Tür, falls Sie sich frisch machen wollen.«
Wobei ich Sie lieber über den Schreibtisch legen würde.
»Danke. Und dann gehe ich besser wieder an die Arbeit. Die werden sich schon wundern, was wir so lange zu besprechen haben.«
Er sah ihr hinterher. Sie wiegte sich in den Hüften, dass es wie eine Einladung wirkte. Er hätte sie gern angenommen. Doch der Versuchung nachzugeben, wäre unvernünftig. Vermutlich hatte sie ihm nicht verziehen, sondern es war nur eine List, um ihm nahezukommen und ihn dazu zu bringen, seine Vorsicht zu vergessen. Er wusste, wie man das machte. Schritt eins: sich nahe an die Zielperson heranmachen; Schritt zwei: herausfinden, was sie braucht, und es ihr anbieten. Schließlich hatte er den Trick selbst schon häufig angewandt. Dennoch, als sie aus seinem Büro stolzierte, wusste er, dass er die Stimme der Vernunft ignorieren würde.
Mia Sauter erwies sich als eine Ablenkung, die er nicht gebrauchen konnte, doch er war nicht fähig, sie ein zweites Mal abzuweisen.
4
Der Labortrakt lag dunkel da, und Dr. Rowan gefiel es so.
In den Zellen war das Deckenlicht schon vor Stunden ausgeschaltet worden und man hatte die Versuchspersonen ihren Gedanken überlassen – sofern sie so glücklich waren, noch denken zu können. Die meisten seiner Kollegen arbeiteten lieber bei Tag, doch es war ja nicht so, als schiene hier, im Keller, jemals die Sonne in die Räume.
Manchmal verglich er es mit einem Arbeitsplatz unter Wasser. Manche Leute waren eben nicht für extreme Umgebungsverhältnisse geschaffen. Wer aus dem Schulungsprogramm der Stiftung flog, versagte auch im Leben, aber keiner von denen wollte zugeben, dass er das Kleingedruckte nicht gelesen hatte.
Es herrschte eine wunderbare Stille. Die Zellen waren schallisoliert. Er brauchte sich also nicht die ganze Nacht lang das Gewimmer anzuhören. Diejenigen, die sprechen konnten, waren faszinierend. Einige von ihnen hatten sich durch vorbildliches Verhalten Privilegien verdient.
Gillie war sein Liebling. Sie wurde bei ihrem Namen genannt und trug keine Nummer wie die fehlgeschlagenen Experimente. Sie hatte alle ihre Fähigkeiten bewahrt und besaß sogar einen recht drolligen Charme. Statt einer Zelle bewohnte sie ein Apartment am Ende des Flurs. Sie las Bücher und durfte fernsehen, aber nicht ins Internet gehen. Man konnte nicht riskieren, dass sie an den Sperren vorbei eine Nachricht nach draußen schickte. Sie schien zwar mit ihrem Leben zufrieden zu sein – sie kannte seit ihrer Kindheit nichts anderes –, doch anzunehmen, sie sei gern hier Gast, wäre schlicht unklug. Jedenfalls
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