Small World (German Edition)
auf einem Klavier klimpert. Seither hatte sie ihn nicht mehr auf das Klavierspielen angesprochen.
Inzwischen war es Spätsommer und Konrad Lang mehr und mehr zu einem Pflegefall geworden. Konrad, der, als sie sich kennenlernten, immer elegant und, nachdem er mit dem Trinken aufgehört hatte, auch gepflegt gewirkt hatte, begann sich zu vernachlässigen. Er trug dieselben Sachen, bis sie sie in die Wäsche oder die Reinigung gab. Er rasierte sich schlecht und immer seltener. Seine Fingernägel waren ungepflegt, und als sie ihn darauf aufmerksam machte, nein, als sie ihn in einem Anflug von Ärgerlichkeit (etwas, was ihr immer öfter passierte) bat, sich die Nägel zu schneiden, stellte sich heraus, daß er es nicht konnte. Er stand da mit der Nagelschere in der Hand und hatte keine Ahnung, was er damit tun sollte.
Seit ein paar Tagen fand sie an den unmöglichsten Orten der Wohnung Unterhosen. Manchmal waren sie feucht. Etwas, worauf sie Felix Wirth schon seit einiger Zeit vorbereitet hatte. »Spätestens wenn er anfängt, die Hosen naß zu machen, brauchst du eine Hauspflege«, hatte er gesagt.
Am Anfang hatte sie diese Idee weit von sich gewiesen. Die Vorstellung, eine fremde Person im Haus zu haben, war ihr zuwider. Sie wußte auch, wie schwer es Konrad inzwischen fiel, sich an jemand Neues zu gewöhnen. In letzter Zeit hatte sie immer öfter den Eindruck, er wisse nicht, wer sie sei. Nicht nur, daß er ihren Namen verwechselte (Elisabeth nannte er sie, oder Elvira), es kam auch vor, daß er sie anstarrte wie einen wildfremden Menschen.
Solche Situationen pflegte er zu überbrücken mit einer seiner Floskeln, die er in petto hatte. »Küß die Hand, gnä’ Frau« oder »Kennen wir uns nicht aus Biarritz?« oder »Small world!«, in der Hoffnung, sie helfe ihm weiter. Meistens tat sie es. Nur manchmal, wenn sie es leid war, ließ sie ihn hängen.
In letzter Zeit dachte sie gelegentlich, wenn er mich ohnehin als Fremde betrachtet, kann ja auch eine andere Fremde seinen Dreck wegmachen.
Rosemarie Haug stand auf und ging nachsehen, wo Konrad steckte. Er war schon vor einer ganzen Weile aus dem Zimmer gegangen. In letzter Zeit war es immer öfter vorgekommen, daß er sich in der Wohnung nicht zurechtfand.
Als sie ihr Schlafzimmer betrat (sie hatten seit kurzem getrennte Schlafzimmer, eine Maßnahme, die Konrad nur schwer verständlich zu machen war), hörte sie, wie er an der Badezimmertür hebelte. Das Badezimmer war von hier und vom Gang aus zugänglich. Sie hatte begonnen, die Tür zu ihrem Schlafzimmer abzusperren, weil Konrad manchmal in der Nacht in der Wohnung herumgeisterte und schon ein paarmal plötzlich vor ihrem Bett gestanden hatte.
»Hier ist abgeschlossen, Konrad«, rief sie, »nimm die andere Tür!«
Anstatt zu antworten, trommelte Konrad wild auf die Tür ein. Rosemarie drehte den Schlüssel um und öffnete. Konrad stand mit hochrotem Kopf und erhobenen Fäusten im Bad. Als er sie sah, stürzte er sich auf sie und warf sie aufs Bett.
»Verdammte Hexe«, stammelte er. »Ich weiß genau, wer du bist.«
Dann schlug er sie ins Gesicht.
»Nicht einmal, wenn er dein Mann wäre, könnte man dir das zumuten«, sagte Felix Wirth. Sie hatte ihn gleich nach dem Zwischenfall angerufen. Er war sofort gekommen, hatte Konrad, der immer noch ganz verstört war, ein Beruhigungsmittel gespritzt und geholfen, ihn ins Bett zu bringen. Jetzt saßen sie im Wohnzimmer.
»Er wäre beinahe mein Mann geworden. Im Sommer wollten wir heiraten. Aber auch das hat er vergessen.«
»Sei froh.«
»Trotzdem: In gewisser Weise bin ich seine Frau. Es kommt mir vor, als würden wir uns schon ewig kennen.«
»Er hat dich geschlagen, Rosemarie. Und er wird es wieder tun.«
»Er hat mich mit jemandem verwechselt. Er ist der sanfteste Mann, den ich je getroffen habe.«
»Er wird dich wieder mit jemandem verwechseln. Du bist zu neu in seinem Leben. Die Erinnerung an dich ist an der Stelle des Gehirns gespeichert, die zuerst kaputtgeht. Er wird nicht mehr wissen, ob es Sommer oder Winter, Tag oder Nacht ist, er wird sich nicht mehr anziehen können oder waschen. Er wird Windeln tragen und gefüttert werden müssen, er wird niemanden mehr erkennen, nicht mehr wissen, wo er ist, und schließlich auch nicht mehr, wer er ist. Laß mich nach einem Platz in einem Pflegeheim schauen. Tu ihm und dir den Gefallen.«
»Mit welchem Recht? Ich bin weder verwandt noch verheiratet mit ihm. Ich kann doch einen erwachsenen, mündigen Mann
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