Snow Crash
daà er keine Rücksicht mehr auf die gutnachbarschaftliche Politik nehmen kann. Durchbrich die Schallmauer. Laà knakken.
66
»Raven«, sagt Hiro, »ich will dir eine Geschichte erzählen, bevor ich dich töte.«
»Ich höre zu«, sagt Raven. »Es ist eine lange Fahrt.«
Alle Fahrzeuge im Metaversum sind mit Stimmtelefonen ausgerüstet. Hiro hat einfach den Bibliothekar angerufen und ihn gebeten, Ravens Nummer nachzuschlagen. Sie rasen jetzt dicht hintereinander über die schwarze Oberfläche des imaginären Planeten, aber Hiro holt Meter für Meter zu Raven auf.
»Mein Dad war im Zweiten Weltkrieg in der Armee. Hat ein falsches Alter angegeben, damit sie ihn genommen haben. Sie haben ihn als Aufklärer in den Pazifik geschickt. Wie dem auch sei, er wurde von den Japanern geschnappt.«
»Und?«
»Und sie haben ihn nach Japan gebracht. In ein Kriegsgefangenenlager. Es waren eine Menge Amerikaner dort, dazu ein paar Briten und Chinesen. Und einige Typen, die sie nicht einordnen konnten. Sie sahen wie Indianer aus. Sprachen ein wenig Englisch. Aber Russisch sprachen sie besser.«
»Das waren Aleuten«, sagt Raven. »Amerikanische Staatsbürger. Aber niemand hatte je von ihnen gehört. Die meisten Menschen wissen gar nicht, daà die Japaner während des Krieges amerikanisches Territorium erobert hatten â mehrere Inseln am Ende der Aleutenkette. Bewohnt. Von meinem Volk. Sie haben die beiden wichtigsten Aleuten genommen und in japanische Kriegsgefangenenlager gesteckt. Einer war der Bürgermeister von Attu. Der andere war für uns sogar noch wichtiger. Er war der Chefharpunist der Nation der Aleuten.«
Hiro sagt: »Der Bürgermeister wurde krank und starb. Er hatte keine Abwehrkräfte. Aber der Harpunist war ein zäher Hurensohn. Er wurde ein paarmal krank, aber er hat überlebt. Hat wie die anderen Gefangenen auf den Feldern gearbeitet, wo er den Fraà für die Gefangenen und Wachen zubereitete. Blieb meistens für sich. Alle gingen ihm aus dem Weg, weil er schrecklich stank. Sein Bett verstänkerte die gesamte Baracke.«
»Er kochte ein tödliches Walgift aus Pilzen und anderen Substanzen, die er auf den Feldern fand und in seiner Kleidung trocknete«, sagt Raven.
»AuÃerdem«, fährt Hiro fort, »waren sie sauer auf ihn, weil er einmal eine Fensterscheibe in der Baracke eingeschlagen hat und den Rest des Winters die Kälte eindringen konnte. Wie auch immer, eines Tages wurden alle Wachen nach dem Mittagessen schrecklich krank.«
»Walgift in der Fischsuppe«, sagt Raven.
»Die Gefangenen waren schon zur Arbeit auf die Felder gegangen, und als allen schlecht wurde, trieben die Wachen sie zu den Baracken zurück, weil sie sie nicht beaufsichtigen konnten, da sie von Magenkrämpfen geschüttelt wurden. Und in diesem fortgeschrittenen Stadium des Krieges war es nicht leicht, Ersatz zu finden. Mein Vater war der letzte in der Reihe. Und dieser Aleut ging direkt vor ihm.«
Raven sagt: »Und als die Gefangenen über einen Bewässerungsgraben marschierten, sprang der Aleut ins Wasser und verschwand.«
»Mein Vater wuÃte nicht, was er tun sollte«, sagt Hiro, »bis er den Wachsoldaten grunzen hörte, der die Nachhut bildete. Er drehte sich um und sah, daà diesem Soldaten ein Bambusspeer durch den ganzen Körper gedrungen war. Kam einfach aus dem Nichts. Und er konnte den Aleuten immer noch nicht sehen. Dann fiel ein weiterer Wachsoldat mit durchschnittener Kehle zu Boden, und da war der Aleut, holte aus und warf einen zweiten Speer, der eine weitere Wache niederstreckte.«
»Er hatte Harpunen gemacht und in dem Bewässerungsgraben versteckt«, sagt Raven.
»Da wurde meinem Vater klar«, sagt Hiro, »daà er dem Tod geweiht war. Denn was er den Wachen auch immer erzählen würde, sie würden davon ausgehen, daà er an dem Fluchtversuch mitgewirkt hätte, und sie würden ihm mit einem Schwert den Kopf abschlagen. Also überlegte er sich, daà er ebensogut auch einige Feinde erledigen konnte, bevor sie ihn erwischten, nahm dem ersten Soldaten, der getroffen worden war, die Waffe
ab, suchte in dem Wassergraben Deckung und erschoà zwei weitere Wachsoldaten, die nachsehen kamen.«
Raven sagt: »Der Aleut lief zum Grenzzaun, ein baufälliges Bambusding. Angeblich sollte sich ein Minenfeld dort befinden, aber er lief ohne
Weitere Kostenlose Bücher