So gut wie tot
Wohnungsschlüssel problemlos umdrehen ließ. Auch gab es keine Anzeichen dafür, dass jemand an der Tür gearbeitet hatte. Sie rief besorgt nach ihrer Mutter und eilte ins Wohnzimmer.
Erstaunt bemerkte sie, dass der Teppich fehlte, der rote Teppich, den sie noch aus ihrer Kindheit kannte, von dem sie am Vortag den Milchreis entfernt hatte. Einfach weg. Auf den nackten Dielen klebten noch Reste der Gummibeschichtung.
Das passte nicht zusammen. Alles um sie herum geriet ins Wanken. Was hatten neue Türschlösser mit dem Teppich zu tun? Irgendetwas war ganz und gar nicht in Ordnung.
»Mum! Mum!«, rief sie. Vielleicht war ihre Mutter in der Küche, auf dem Klo oder im Schlafzimmer.
Und wo steckte Doris? Sie hatte doch versprochen, den ganzen Morgen bei ihr zu bleiben.
In wachsender Panik rannte sie in alle Zimmer. Stürzte aus der Wohnung, nahm zwei Stufen auf einmal die Treppe hinauf und klingelte bei Doris. Hämmerte mit der Faust gegen die Tür.
Nach einer Ewigkeit hörte sie das vertraute Klappern der Sicherheitskette, wie zuvor wurde die Tür nur wenige Zentimeter geöffnet. Doris spähte argwöhnisch durch ihre riesige dunkle Brille und lächelte dann zur Begrüßung.
»Hallo, Liebes!« Sie öffnete die Tür ein Stück weiter.
Abby war erleichtert, als sie die fröhliche Begrüßung hörte. Gewiss würde Doris gleich sagen, sie habe ihre Mutter mit zu sich genommen.
»Hi, ich wollte nur fragen, ob Sie wissen, wie es unten gelaufen ist.«
»Mit dem Schlüsseldienst?«
Also war er gekommen. »Ja.«
»Na ja, der Mann ist noch bei der Arbeit, meine Liebe. Ein sehr charmanter junger Herr. Stimmt etwas nicht?«
»Haben Sie seine Identität überprüft, wie ich es gesagt hatte?«
»Ja, Liebes, er hatte eine Karte von der Firma. Ich hatte extra meine Lupe mitgenommen, damit ich sie auch lesen konnte. Lockworks, so hieß die Firma doch, oder?«
In diesem Augenblick klingelte Abbys Handy. Sie schaute aufs Display und las die neue Nummer ihrer Mutter.
»Alles in Ordnung, danke«, sagte sie zu Doris.
Diese hob den Finger. »Ich glaube, bei mir brennt etwas an. Klingeln Sie einfach, wenn Sie mich brauchen.«
Als Doris die Tür schloss, nahm Abby das Gespräch an.
Es war die Stimme ihrer Mutter, aber sie zitterte und klang ganz atemlos, als läse sie einen Text ab.
»Abby«, sagte sie. »Ricky will mit dir sprechen. Bitte tu genau, was er dir sagt.«
Dann war die Leitung tot.
Abby wählte die Nummer. Sofort sprang die Mailbox an. Dann ging schon der nächste Anruf bei ihr ein. Auf dem Display stand: unbekannter Anrufer.
Es war Ricky.
88
OKTOBER 2007 »Wo ist meine Mutter?«, brüllte Abby ins Telefon, bevor Ricky irgendetwas sagen konnte. »Wo ist sie, du Schwein? Wo ist sie?«
Hinter ihr ging eine Tür auf, und ein älterer Mann spähte heraus, bevor er die Tür wieder zuknallte.
Mittlerweile verfluchte sie sich, weil sie ihre Mutter mit Doris alleingelassen hatte. Sie zog sich ins Treppenhaus zurück. »Ich will mit ihr sprechen, jetzt sofort. Wo ist sie?« »Deiner Mutter geht es gut, Abby. Sie rollt sich vor Vergnügen. Nur der Transport gestaltete sich etwas schwierig – falls du dich gewundert haben solltest, wo der Teppich geblieben ist.«
Mit dem Handy am Ohr kehrte sie in die Wohnung ihrer Mutter zurück und schloss die Tür hinter sich. Im Wohnzimmer starrte sie auf den nackten Boden mit den Gummiresten. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie zitterte am ganzen Körper, schien den Boden unter den Füßen zu verlieren. Die ersten Anzeichen einer Panikattacke.
»Ich rufe die Polizei, Ricky«, sagte sie. »Mir ist jetzt alles egal, verstanden? Ich werde sofort die Polizei anrufen.«
»Das sehe ich anders, Abby«, erwiderte er ruhig. »Dafür bist du doch viel zu schlau. Was willst du ihnen denn sagen? Ich habe alles gestohlen, was dieser Mann besitzt, und jetzt ist er hinter mir her und hat meine Mutter als Geisel genommen? Du musst für das, was du getan hast, geradestehen, Abby. In der westlichen Welt gibt es strenge Gesetze gegen Geldwäsche, und du musst alle größeren Summen genau belegen. Wie sollte eine kleine Kellnerin aus Melbourne so viel Kohle zusammengetragen haben?«
»Mir ist jetzt alles egal, Ricky!«, schrie sie erneut ins Telefon.
Kurzes Schweigen. Dann antwortete er: »Das glaube ich nicht. Was du getan hast, war keine spontane Idee. Du hast es von langer Hand geplant, zusammen mit Dave, stimmt’s? Hat er dir auch gesagt, in welcher Position du mit mir ficken
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