So nah bei dir und doch so fern
zu wohnen. Für mich war das die Möglichkeit zur Flucht und zum Auskurieren meines gebrochenen Herzens. So buchte ich einen Flug, reichte beim Regierungsamt, wo ich arbeitete, meine Kündigung ein und packte einen Koffer. Mark erzählte ich nichts davon, bis ich reisefertig war; ich war entschlossen, mich abzusetzen. Ich litt, und wie ein verwundetes Tier wollte ich mich vom Schmerz befreien und neue Kraft sammeln.
Meine Mutter sagte, ich sei verrückt, mich einfach so davonzumachen. Ich sei vierundzwanzig Jahre alt, und sie habe geglaubt, ich sei endlich erwachsen geworden und zur Ruhe gekommen, und jetzt wolle ich wie irgendein Teenager so mir nichts dir nichts ein Jahr Auszeit in Thailand nehmen. Sie beschwor mich, zu ihr nach Hause zu kommen, meine Differenzen mit Mark zu klären und so weiterzuleben wie bisher.
Ich hingegen glaubte, ein paar Monate Realitätsflucht, Sonne, Meer und billiger Schnaps in Thailand seien besser als ein feuchtkalter Frühling in Macclesfield. Nachdem ich mit dem Packen fertig war und zum Flughafen aufbrechen wollte, rief ich Mark an, um ihm mitzuteilen, ich würde mit einem One-Way-Ticket nach Bangkok fliegen. Er kam sofort von der Arbeit nach Hause und versuchte, mich zu überreden, hierzubleiben. Doch wenn es eine Sache gab, die ich ihm in unseren fünf gemeinsamen Jahren bewiesen hatte, dann war das meine Sturheit, und sobald ich mir einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte mich nichts mehr davon abhalten.
Bei meiner Abreise hatte ich 200 Pfund in der Tasche – neun Monate später kehrte ich mit 2 000 Pfund und einem Kopf voller wilder Erinnerungen zurück. Aus gutem Grund wird Thailands Hauptstadt das Paradies der Rucksacktouristen genannt. Mit ihrer berauschenden Mixtur aus billigem Fusel, bei Bedarf Drogen und käuflichem Sex und an der Drehscheibe für die Reise in den südwestpazifischen Raum gelegen, bietet sie jungen Europäern, Amerikanern und Australiern auf ihrem Trip um die Welt eine beliebte Zwischenstation.
Diana arbeitete dort seit einigen Monaten als Teilzeitlehrerin bei einer reichen Thai-Familie. Der Ehemann war der Sohn des Eigentümers des größten thailändischen Pharma-Unternehmens. Wir gaben ihm den Spitznamen »Petch the Letch« wegen seines Hobbys, Fotos von seinen englischen Angestellten zu machen. Seine Frau hatte einen Spitzenjob im Erziehungswesen. Sie besaßen zwei Kinder im Alter von vier Jahren und achtzehn Monaten, und Diana war als Teilzeit-Lehrerin für das ältere der beiden engagiert worden, weil es bei einer Aufnahmeprüfung durchgefallen war. Es gab noch vier weitere Kindermädchen in der Familie, und man wollte zusätzlich noch eine englische Vollzeit-Gouvernante haben, wie Anna und der König von Siam.
Als ich mit meinem amerikanischen Abschluss als Erzieherin im Lebenslauf aufkreuzte, bot man mir die Stelle an, und ich sagte sofort zu. Ich wurde sogar gefragt, wie hoch meine Gehaltsvorstellung sei. Diana und ich planten, vier Monate in Bangkok zu bleiben und dann nach Australien weiterzureisen.
Es waren vier total verrückte Monate. Wir verbrachten unsere freien Wochenenden in Petchs Ferienhaus am Meer in Hua Hin. Wir flogen für einen zweiwöchigen Urlaub auf die Insel Koh Samui, wo wir im klaren blauen Wasser schwammen und uns am Strand massieren ließen. Wir nahmen den Nachtzug über die Grenze nach Laos, und ich rauchte Joints mit wildfremden Leuten. Auf der Suche nach Abenteuern reisten wir nach Malaysia. Und wir riskierten unser Leben, als wir uns an der Khao San Road tätowieren ließen.
In seinem Bestseller The Beach beschreibt Alex Garland die Khao San Road hervorragend als »das Zentrum des Rucksacktourismus-Universums«. Es war ein Ort, an dem Schwingungen erstarrten und alles abhanden gehen konnte – einschließlich Gesundheit und Sicherheit. Wir feierten meinen fünfundzwanzigsten Geburtstag und hielten es für eine tolle Idee, uns eine putzige Kreatur auf unsere Hüften tätowieren zu lassen. Der Hinterhof-Tattookünstler pries seine Fähigkeiten doch tatsächlich auf einem lebenden Schwein an, das von oben bis unten mit Tätowierungen bedeckt war und in seinem Laden lebte. Der Besitzer hatte so viele Piercings in den Ohren, dass er wie eine ausgefranste Dartscheibe aussah. Er trug ein schweißtriefendes Unterhemd und hielt eine selbst gedrehte Zigarette zwischen den schmutzigen Fingern.
»Ihr warten zwanzig Minuten, dann Bakterien auf Nadel sterben«, sagte er.
Das klang vertrauenerweckend. Wir hatten nur
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