So wahr uns Gott helfe
Sie führte in das Aktenarchiv, eine große, fensterlose Kammer mit Metallschränken zu beiden Seiten. An der Rückwand stand ein kleiner Arbeitstisch.
Daran saßen zwei Männer. Einer alt, einer jung. Wahrscheinlich ein alter Hase und ein Anfänger. Ihre Jacken hatten sie ausgezogen und über die Stühle gehängt. Ihre Dienstwaffen und Dienstmarken waren an ihren Gürteln befestigt.
»Was haben Sie hier zu suchen?«, bellte ich.
Die Männer blickten von ihrer Lektüre auf. Zwischen ihnen lag ein Stapel Akten auf dem Tisch. Der ältere Detective bekam vor Überraschung große Augen, als er mich sah.
»LAPD«, sagte er. »Und wahrscheinlich sollte ich Ihnen die gleiche Frage stellen.«
»Das sind meine Akten. Deshalb muss ich Sie bitten, sie auf der Stelle liegen zu lassen.«
Der ältere der beiden stand auf und kam auf mich zu. Ich war bereits dabei, den richterlichen Beschluss aus meiner Tasche zu ziehen.
»Mein Name ist …«
»Ich weiß, wer Sie sind«, brummte der Detective. »Trotzdem weiß ich nicht, was Sie hier zu suchen haben.«
Ich reichte ihm den richterlichen Beschluss.
»Das dürfte alles erklären. Ich bin von der Vorsitzenden Richterin des Superior Court zu Jerry Vincents Vertreter ernannt worden. Das heißt, ab sofort sind seine Fälle meine Fälle. Und Sie haben kein Recht, hier zu sein und seine Akten durchzusehen. Damit verletzen Sie eindeutig die Rechte meiner Mandanten auf Schutz vor unrechtmäßiger Durchsuchung und Beschlagnahmung. Diese Akten enthalten Mitteilungen und Informationen, die der anwaltlichen Schweigepflicht unterliegen.«
Der Detective verzichtete darauf, den Inhalt der Bevollmächtigung gründlich zu studieren. Er blätterte sofort zu der Unterschrift und dem Stempel auf der letzten Seite. Er schien nicht sonderlich beeindruckt.
»Vincent ist ermordet worden«, sagte er. »Das Tatmotiv könnte in einer dieser Akten zu finden sein. Das Gleiche gilt für die Identität des Mörders. Wir müssen …«
»Nein, müssen Sie nicht. Was Sie allerdings müssen, ist, auf der Stelle diesen Raum verlassen.«
Der Detective verzog keine Miene.
»Ich betrachte diesen Raum als Teil eines Tatorts«, erklärte er. »Sie sind derjenige, der hier verschwinden muss.«
»Lesen Sie diesen Beschluss, Detective. Ich werde nirgendwohin gehen. Ihr Tatort ist draußen im Parkhaus, und kein Richter in L. A. ließe zu, ihn auf Mr. Vincents Kanzlei und diese Akten hier auszuweiten. Für Sie ist es Zeit, zu gehen, und für mich, mich um meine Mandanten zu kümmern.«
Er machte keine Anstalten, den richterlichen Beschluss zu lesen oder die Stellung zu räumen.
»Wenn ich hier rausgehe«, sagte er, »werde ich die ganze Kanzlei abriegeln und niemandem Zutritt gewähren.«
Ich hasste solche Machtkämpfe mit Polizisten, aber manchmal ließen sie einem keine Wahl.
»Tun Sie das, und ich habe die Absperrung in einer Stunde wieder aufgehoben. Und Sie dürfen vor der Vorsitzenden Richterin des Superior Court erscheinen und ihr erklären, warum Sie auf den Rechten jedes Einzelnen von Vincents Mandanten herumgetrampelt sind. Ihnen ist hoffentlich klar, dass das angesichts der Anzahl von Mandanten eine rekordverdächtige Leistung werden könnte – selbst für das LAPD.«
Der Detective lächelte mich an, als amüsierten ihn meine Drohungen. Er wedelte mit dem richterlichen Beschluss.
»Sie behaupten also, das hier teilt alle diese Fälle Ihnen zu?«
»So ist es. Vorläufig.«
»Die ganze Kanzlei?«
»Ja, aber jeder Mandant muss selbst entscheiden, ob er bei mir bleiben oder sich jemand anderen suchen will.«
»Also, ich würde sagen, damit kommen Sie auf unsere Liste.«
»Auf welche Liste?«
»Die Liste der Verdächtigen.«
»Das ist vollkommen lächerlich. Warum sollte ich auf diese Liste kommen?«
»Den Grund haben Sie uns eben selbst genannt. Sie haben sämtliche Mandanten des Opfers geerbt. Das muss doch für Sie ein richtig warmer Regen sein. Er ist tot, und Sie übernehmen den ganzen Laden. Ein ausreichendes Motiv für einen Mord. Würden Sie uns bitte sagen, wo Sie gestern Abend zwischen zwanzig Uhr und Mitternacht waren?«
Er grinste mich wieder ohne jede Wärme an und bedachte mich mit dem geübten urteilenden Lächeln eines Cops. Seine braunen Augen waren so dunkel, dass die Grenze zwischen Iris und Pupille nicht zu erkennen war. Wie Haiaugen schienen sie keinerlei Licht auszustrahlen oder zu reflektieren.
»Ich werde nicht mal versuchen, Ihnen zu erklären, wie absurd das
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