Söhne der Erde 09 - Die letzten Marsianer
auch wider die Vernunft gewesen, als er, Charru, in der Welt unter dem Mondstein seinem sterbenden Vater schwor, ihm dem Gebot der Priester zum Trotz den Scheiterhaufen zu errichten?
» Es ist nicht klug, aber dies ist nicht die Stunde der Klugheit«, hatte Gerinth damals gesagt.
Und jetzt? Auch jetzt war nicht die Stunde der Klugheit. Charru wollte etwas sagen, doch er schwieg, weil er sah, daß der Blick des Hünen plötzlich ins Leere ging.
.Hunons Lippen zuckten.
Sekundenlang erbebte sein ganzer Körper. Er riß sich sofort wieder zusammen, aber Charru hatte bereits begriffen, daß der Hüne krank sein mußte.
*
Dayels Hand umschloß den Griff des Kurzschwerts.
Mit dem Rücken zur Wand stand er in dem goldfarbenen Tunnel, unmittelbar neben der Tür, hinter der Bar Nergal eingesperrt worden war. Der Oberpriester lief wie ein gefangenes Tier in dem kleinen Raum auf und ab. Zuerst hatte er das alles offenbar mehr für einen Scherz gehalten. Er war sicher gewesen, daß Dayel ihn sofort befreien würde. Er hatte befohlen, gedroht, den jungen Akolythen beschworen, doch Dayel biß die Zähne zusammen und reagierte nicht.
Er trug immer noch die halb zerfetzte Akolythen-Robe.
Aber jetzt hatte er den Waffengurt darum geschnallt. Er führte ein Schwert. Und für ihn war dieses Schwert mehr als eine Waffe; es war ein Symbol, das die Vergangenheit auslöschte.
Er, Dayel, hatte auf Bar Nergals Befehl einen Tiefland-Krieger mit dem Wurfdolch ermordet.
Er hatte es bereut. Er hätte alles getan, um es ungeschehen zu machen. Er war sicher gewesen, daß Charru und seine Freunde ihn für immer hassen würden, doch statt dessen hatten sie ihm die Hand gereicht und ihm die Chance gegeben, dem Terror der Priester zu entfliehen.
Und jetzt gaben sie ihm sogar wieder eine Waffe in die Hand.
Sie vertrauten ihm. Charru von Mornag ließ ihn den Oberpriester bewachen, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, als sei er nie schuldig geworden und nicht besser oder schlechter als irgendein anderer Krieger. Dayel hatte begriffen, daß er einen neuen Anfang machen konnte, und für diese Chance war er bereit, es notfalls mit Bar Nergal, sämtlichen Priestern und einer halben Armee aufzunehmen.
Er straffte sich, als er die leisen, zögernden Schritte in dem Tunnel hörte.
Rechts vor ihm bog eine Gestalt um die Ecke, eine Gestalt in der langen schwarzen Robe der Priester. Auch das Haar des Mannes war schwarz, fiel dicht in die kräftige Stirn, weil erlange keine Gelegenheit gehabt hatte, es kurz zu scheren. Shamala, erkannte der junge Akolyth. Der Priester, der in der Tempelschule gelehrt hatte, der gefürchtet gewesen war, weil er jeden Fehler, jedes gewisperte Wort, jede winzige Unaufmerksamkeit grausam bestrafte.
Dayel preßte die Lippen zusammen.
Jäh und scharf erwachte die Erinnerung an die vielen Male, da er selbst das Opfer gewesen war: angekettet an den schwarzen Obelisken, den gnadenlosen Peitschen ausgeliefert. Wenn es den Priestern nach gegangen wäre, hätte sich nichts geändert, auch nicht, als der Mondstein zerbrochen war. Aber jetzt hatten die Priester keine Macht mehr. Der Fürst von Mornag duldete nicht, daß jemand ausgepeitscht oder geopfert wurde. Niemand brauchte sich mehr zu fürchten, auch nicht er, Dayel. Er war frei! Diese Erkenntnis straffte seine Schultern und ließ ihn Shamala ohne Angst ins Gesicht sehen.
Der Priester kniff die Augen zusammen. Erspürte, was in dem jungen Akolythen vorging. Aber er verstand es nicht.
»Dayel - du versündigst dich«, begann er.
»Wieso?« fragte der junge mit einer Festigkeit, die ihn selbst erstaunte.
»Die schwarzen Götter...«
»Es gibt keine schwarzen Götter, das weißt du. Die schwarzen Götter waren Marsianer, die unter den Mondstein geschickt wurden, um uns zum Krieg aufzuhetzen. - Was willst du, Shamala?«
Der Priester sog scharf die Luft ein.
Genau wie Bar Nergal glaubte er, mit Dayel leichtes Spiel zu haben. Hatten sie ihn nicht zum Mörder gemacht? Hatte er nicht dem Befehl gehorcht, der die Rache der Tiefland-Krieger auf ihn 'ziehen mußte? Aber er lebte immer noch, obwohl er als Opfer ausersehen gewesen war. Er stand auf der Seite der Ungläubigen. Und er hatte ein Schwert - eine Tatsache, die Shamala zu äußerster Vorsicht mahnte.
»Ich möchte mit dem Oberpriester sprechen«, murmelte er.
»Nein«, sagte Dayel.
»Aber ich muß mit ihm sprechen! Hast du alles verraten, woran du einst glaubtest? Und wenn - meinst du nicht
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