Söhne der Erde 15 - Die Rache Des Mars
Überraschungsschlag blieb ein unwägbares Risiko. Die beiden Priester brauchten nur ein einziges Mal ihre Strahlenwaffen abzufeuern, dann würde es ein Blutbad geben. Charru wollte sich leise wieder zurückziehen, doch im nächsten Moment zuckte er erschrocken zusammen.
Ein winziges Geräusch.
Als er den Kopf wandte, sah er die Gestalt, die sich ein Stück entfernt zwischen den Betonblöcken aufrichtete. Dayel! Er mußte sich mit allen Sinnen auf die Szene vor sich konzentriert haben, war viel zu angespannt gewesen, um die fünf Tiefland-Krieger zu bemerken, die sich näherten. Jetzt riß er mit einem Ruck das Kurzschwert aus der Scheide. Kein Zweifel: Er wollte sich blindlings mitten in die Übermacht stürzen, um dem Oberpriester die Waffe in die Brust zu stoßen.
Es war möglich.
Aber Dayel würde nicht mit dem Leben davonkommen, würde in Stücke gerissen werden. Er wußte es. Er wollte sich opfern, und so, wie er es anfing, hatte er sogar die Chance, es zu schaffen.
Das alles schoß Charru im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf.
Lautlos ließ er sich über die Schräge des Blocks zu Boden gleiten. Gleichzeitig hörte er hinter sich ein Geräusch und sah den graubärtigen Scollon in einiger Entfernung aus dem Schatten zwischen zwei Ruinen stolpern. Hasco warf sich herum und lief ihm entgegen, damit er ihre Gegner nicht aufmerksam machte. Dayel zögerte noch, krampfte die Hand um den Schwertgriff, spannte die Muskeln. Charru war nur wenige Schritte entfernt. Er benutzte Grasbüschel und vom Wind freigefegte Steine, um im knirschenden Schnee kein Geräusch zu verursachen. Aber wenn Dayel erschrak, einen Schrei ausstieß ...
Charru erreichte ihn mit einem letzten Sprung, fing seinen Schwertarm ab und schob ihm blitzartig die Hand über den Mund.
»Ruhig!« hauchte er. »Ich bin es. Du brauchst keine Angst zu haben.«
Die verkrampfte Haltung des Jungen lockerte sich erst nach Sekunden.
Charru ließ ihn los. Dayel wandte sich um, bleich und vor Schrecken zitternd.
»Ich ... ich wollte ...«
»Ich weiß,« sagte Charru sanft. »Komm jetzt.«
»Aber ... wir könnten ...«
»Nein, Dayel. Niemand wird Bar Nergals wegen sein Leben opfern. Komm ...«
Ruhig legte er dem Jungen die Hand auf die Schulter. Er wollte ihn vorwärts schieben, aber im nächsten Augenblick verharrte er und lauschte.
Schritte näherten sich.
Knirschende, ziemlich laute Geräusche, wie sie nur von Stiefeln verursacht werden konnten.
Aus zusammengekniffenen Augen spähte Charru die schmale Straße zwischen den Ruinen entlang. Jemand näherte sich von dort: Eine hochgewachsene Gestalt, ganz in Schwarz. Im ersten Moment schob es Charru auf das ungewisse Mondlicht, daß ihm der Fremde wie ein Schattenriß erschien, dann wurde ihm klar, daß der Mann tatsächlich eine schwarze Uniform trug.
Eine marsianische Uniform! Ohne Helm, dafür mit einer eng anliegenden, ebenfalls schwarzen Kopfbedeckung, mit den üblichen leichten Kunststoff-Stiefeln und einem breiten silbernen Gürtel, der den Rang eines Kommandanten auswies.
Charrus Kiefermuskeln schmerzten vor Anspannung.
Vorsichtig zog er sich zurück, die Hand immer noch an Dayels Schulter. Camelo, der graubärtige Scollon und die drei anderen hatten sich tief in den Schutz der Blöcke geduckt und warteten. Charru atmete tief, um Erregung und Zorn zu bezwingen.
»Marius Carrisser,« sagte er gepreßt. »Ich habe ihn genau erkannt. Die Marsianer benutzen Bar Nergal als Werkzeug, um ihr Ziel zu erreichen, ohne sich selbst die Finger schmutzig zu machen.«
*
Cris war an Händen und Füßen gefesselt in einen der feuchten, finsteren Keller gebracht worden.
Die anderen kehrten nach der nächtlichen Treibjagd zum Schlupfwinkel der Priester am Rande des Raumhafens zurück. Die Königin hatte Bar Nergal wieder ihren Thron angeboten und kauerte zu seinen Füßen. Marius Carrisser stampfte zu Fuß durch den Schnee, blieb ein paar Schritte zurück und brütete finster vor sich hin.
Die Schwierigkeiten häuften sich.
Schwierigkeiten, mit denen er nicht gerechnet hatte. Sein Blick glitt über Chaka, Ciran und Che. Würden sich die Söhne der Königin auf die Seite ihres Bruders stellen? Sicher nicht, solange Charilan-Chi so unerschütterlich an Bar Nergals Göttlichkeit glaubte. Aber wie lange würde es dauern, bis selbst diese primitiven Wilden begriffen, daß der Oberpriester ein wahnsinniger alter Mann, aber gewiß kein Gott war?
Immerhin: Die Kampfstaffel von Luna mußte jetzt bereits
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