Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
bereuen.“
Mica lachte auf. „Solange du sie nicht markiert hast, gehört sie dir nicht. Sollte die kleine Strega Gefallen an mir finden, werde ich es nutzen. Sie ist – wie soll ich sagen – beinahe so appetitlich wie du.“
Abermals zog Ruben die sinnlichen Lippen zurück. Seine Zähne waren stumpf geworden, hatten sich zurückverwandelt in das Gebiss eines Sterblichen, dennoch gehörte sein Knurren einem Wolf. Kleine Provokationen dieser Art hoben Micas Laune, versüßten die Endlosigkeit seiner Existenz. Er ließ einen Fangzahn aufblitzen und tippte mit der Zungenspitze dagegen.
„Eines Tages steht dir ein Alpha gegenüber, der dir gewachsen sein wird. Ich hoffe inständig, dass ich es bin.“
Mica prostete ihm zum Abschied zu und enthielt sich einer Antwort, bis Ruben das Haus verlassen hatte und ihn nicht mehr hören konnte.
„Ich teile deine Hoffnung, Garou. Entweder du … oder Florine wird vernünftig und es wird dein Bruder sein, dessen Blut ich nehme.“
Das Blut der Garou. Es war stark. Vielleicht war das von Ruben gar stärker als das von Cassian, denn eines stand für Mica fest. Mit einem Rudel in seinem Rücken wäre Ruben der Einzige, der Juvenal die Rolle des Sippenoberhauptes streitig machen konnte. Kaltschnäuzig genug war er. Trotzdem verzichtete er auf alles, was Werwölfe ausmachte. Er suchte weder nach Geltung noch nach Verbundenheit und Gemeinschaft. Es war ein Rätsel, das Mica zu lösen gedachte. Schon allein, weil er sich Fehler nicht erlauben konnte und nicht mit einer wandelnden Sprengladung belastet werden wollte, die täglich hochgehen konnte.
5
D
er erste Eindruck war der eines Märchens. Eine schlafende Maid von betörender Schönheit wartete darauf, von der Nacht wach geküsst zu werden. Allerdings zerschellte jedwede Romantik an der Tatsache, dass besagte Maid auf einer Dachterrasse Wind und Wetter ausgesetzt war und auf Jahrtausende zurückblicken konnte, vielleicht sogar auf die Entstehung der ersten großen Zivilisationen. Während Aurora neben der Lamia saß, verwandelte sich das Märchen mehr und mehr in eine Gruselgeschichte. Selene hatte die Arme über Kreuz gelegt und umfasste leicht ihre eigenen Schultern. Diese Haltung erinnerte an einen aufgebahrten Leichnam. Sie schien nicht zu atmen. Wind spielte in ihren roten Locken, und da sich außer ihrem Haar nichts an ihr bewegte, hob es ihre Starre noch hervor.
Trotz der gefütterten Stiefel und dem mit Zobelpelz gefütterten Mantel setzte Aurora der schneidende Wind zu. Sie fror erbärmlich. Dabei sollte eine Windhexe so einiges an Kälte verkraften, ohne dass ihre Zähne aufeinanderschlugen. Wie hielt Selene das bloß aus? Ein Nichts aus zartrosa Stoff ließ ihre Arme frei und umschmeichelte ihre schlanke Gestalt. Unter dem Saum streckten sich bloße, perfekt modellierte Füße der Kälte zu. Auf ihre perlmuttfarbenen Zehennägel mussten etliche Oden gedichtet worden sein. Das Wetter prallte an der Lamia ab, während Auroras Nase rot hervorstechen musste. Sie wischte sich mit einem Spitzentuch darüber.
Ruben lehnte an der Balustrade, die Ärmel seines Hemdes aufgerollt, sodass sie seine ledernen Armschienen freilegten. Auch er schien sich an der Kälte nicht zu stören. Der schlafenden Schönheit hatte er einen kurzen Blick gegönnt und sich dann in die Betrachtung des Mosaikbodens vertieft. Ein Windstoß fuhr durch sein offenes Haar und schlug eine mahagonifarbene Strähne an seine Wange. Seine Miene war verschlossen. Er hatte Aurora nur widerstrebend hierhergebracht.
„Sie wirkt wie ein Fremdkörper auf ihrer eigenen Terrasse“, sprach sie Selenes Reglosigkeit an.
„Ich weiß nicht, was du dir von ihr erwartest“, brummte er missmutig.
Aurora war froh, dass er überhaupt etwas sagte. „Selene lebt seit langer Zeit in Rom. Sie war hier, als die Larvae entstanden. Vielleicht war sie sogar zugegen, als der Fluch gewebt wurde. Immerhin kennt sie die Wirkung von geheiligtem Boden auf die verfluchten Seelen. Meine Gilde hat vieles niedergeschrieben. Manches an Wissen haben sie vielleicht vergessen oder für sich behalten. Ich möchte herausfinden, was Selene darüber weiß.“
„Hm“, machte er, wenig überzeugt.
„Hast du eine Ahnung, wie alt sie ist? An ihrem Äußeren ist es nicht zu erkennen. Ob sie schon vor Entstehung des römischen Imperiums lebte?“
„Wahrscheinlich.“
„Sie ist das Idol aller Lamia. Sie war es, die sich als Erste von den Vampiren lossagte. Alle anderen folgten ihrem
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