Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
den spitz zulaufenden Nägeln beiseite zu schlagen. Selene so dicht neben Aurora zu sehen, Schulter an Schulter aneinem Kaminfeuer, drehte ihm den Magen um. Gleichzeitig öffnete es ihm die Augen. Selene mochte unwiderstehlich sein mit ihren Feuerlocken und der milchweißen Haut. Das Kaminfeuer brach sich in ihren Augen und ließ das Grün darin aufsprühen. Dennoch blieb ihr Strahlen eine Täuschung. Kein Geschöpf der Nacht sandte Licht aus. Aurora offenbarte die Wahrheit und wurde ihrem Namen gerecht. Sie war die Morgenröte, der Silberstreif am Horizont, ein Hoffnungsstrahl. Ihre Unschuld war wahrhaftig, die Reinheit von Selene ein Trugbild.
Ohne sich an der Berührung einer Lamia zu stören, nippte Aurora an ihrem Würzwein. Der Duft von Nelken zog durch das Atrium. Nachdem sie getrunken hatte, setzte sie bedächtig ihren Becher ab. „Das war eine schöne Rede, Selene. Worte, verkleidet in Samt und Seide. Ich bin nicht hier, um mich davon einlullen zu lassen.“
Ruben stutzte. Er war der Melodie in der Stimme einer Lamia für kurze Zeit erlegen. Es war nicht leicht, ihr zu widerstehen. Selbst diesmal hatte er sich davontragen lassen in eine ferne Vergangenheit zu einem unbesiegbaren Germanenstamm. An Aurora war es einfach abgeprallt. Da saß sie mit ernster Miene und missachtete die Gier in den grünen Katzenaugen. Sie galt nicht dem Blut, sondern dem Drang, andere nach dem eigenen Willen zu biegen. Nun, bei Aurora würde Selene auf Granit beißen. Etwas entspannter lehnte er sich an den warmen Kaminsims.
„Weshalb bist du hier, wenn du mir keinen Glauben schenken willst?“
„Weil ich Antworten brauche.“ Aurora öffnete die Schatulle auf ihrem Schoß und nahm das Buch hervor. „Das ist das Grimoire meiner Hexengilde. Die ersten Einträge stammen von Cornelia. Du siehst, es ist sehr alt. Das Grimoire gab mir einen Hinweis auf eine Waffe. Hast du jemals etwas über das Hexenfeuer gehört?“
Prompt zog Selene die Hand zurück und rückte ein Stück ab. Mica, der bisher stumm zugehört hatte, schaltete sich ein.
„Womöglich möchtest du uns etwas über diese Waffe erzählen?“
„Das kann sie nicht. Sie kennt das Feuer nicht“, stieß Selene aus. Sie maß das Buch ab, als wollte sie es Aurora entreißen und in den Kamin werfen.
„Dieses Feuer hat nichts mit dem Element des Feuers gemein. Mehr weiß ich darüber nicht.“
„Aber du bist eine Windhexe“, warf Ruben ein.
„Eine Strega der Lüfte, um genau zu sein. Es steht geschrieben, dass jede Strega, gleichgültig, welchem Element sie zugeordnet ist, das Hexenfeuer herbeirufen kann. Es ist in ihr, vielmehr in jedem, der zum Oberhaupt einer Gilde bestimmt ist.“ Aurora schlug das Buch auf. Sie warf einen Blick auf die Seite und sah in die Runde. „Wann immer ich die Frage nach den Larvae stelle, werde ich zum Eintrag über das Hexenfeuer geführt. Das ist ein Zeichen. Ob es jedoch ein Ratschlag oder eine Warnung ist, kann ich nicht sagen.“
„Es ist eine Warnung“, erwiderte Selene dumpf. „Du darfst das Hexenfeuer niemals anwenden. Vergiss, was du darüber gelesen hast. Woher immer deine Familie dieses Geheimnis hat, es bringt Zerstörung und Tod.“
„Darum geht es schließlich, Mutter. Um die Vernichtung der Larvae.“
„Stets geht es um die Vernichtung von irgendetwas. Diese Waffe kann niemand kontrollieren. Ein winziger Moment der Unachtsamkeit, ein falscher Gedanke im falschen Augenblick, und der Rufer des Hexenfeuers wird zu Asche.“
„Aber durch Anleitung und Übung …“, hob Aurora an.
„Nein! Ich sage euch, was aus diesem Feuer entstehen kann.“ Selene sprang auf. Unruhe führte sie um das Fischbecken des Atriums, unentwegt im Kreis wie ein gefangenes Raubtier. Fahrig bewegte sie die Hände, und ihre Stimme verlor die bezwingende Melodie „Vor langer Zeit glaubte ein Vampir, sein Name war Demetrios, er müsse unbedingt das Blut einer Hexe kosten. Daran hängte er sein ganzes Glück, der Teufel weiß, weshalb. Ein winziger Schluck sollte es sein, eine heimliche Kostprobe, nach mehr verlangte er nicht. Und er nahm sich das Gewünschte. Obwohl er seinen Biss versiegelte, konnte er die Erinnerung der Hexe daran nicht tilgen. Sie nannte es Raub und übte Vergeltung. Es war der Untergang der Stadt Pompeji.“
Selene blieb stehen, musterte sie der Reihe nach. Ruben zog die Brauen in die Höhe, versuchte, sich darauf zu besinnen, was er über Pompeji wusste. Es fiel ihm auf die Schnelle nur ein, dass die Stadt etwas
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