Söhne der Rose - Die Zeit ist aus den Fugen- (Gay Phantasy) (German Edition)
uns, keinen Verkehr aufwies, fuhr Daxx nur wenig schneller als Schritttempo, verrenkte sich den Hals und sah sich nach Graffitis um. Wir hatten die Fenster zum Teil heruntergekurbelt, denn die von außen eindringende, warme Morgenluft war immer noch angenehmer, als die abgestandene Luft im Wagen. Bis heute habe ich nicht begriffen, warum dennoch keiner von uns das Albtraumszenario gehört hatte, das mit mindestens vierzig Meilen pro Stunde auf uns zugeschossen kam und sämtliche unserer Pläne mit einem Schlag über den Haufen warf.
Daxx sah zu seinem Seitenfenster hinaus und versuchte gleichzeitig, die Straßenführung vor ihm im Auge zu behalten. Alain war damit beschäftigt, in seinem Rucksack nach etwas zu suchen und Sinh, der wohl vermutete, dass sein Bruder etwas Interessantes an einer Hauswand auf der Fahrerseite entdeckt hatte, blickte neugierig an mir vorbei. Dann ging gleichzeitig alles sehr schnell und irgendwie grauenhaft langsam. Im letzten Moment sah ich den Mercedes C220, der plötzlich aus einer schmalen Seitengasse auftauchte und schon im nächsten Augenblick, als würden einige Sekunden fehlen, spürte ich den Zusammenstoß, hörte ein ohrenbetäubendes Krachen und wie sich Metall unter extremer Gewalteinwirkung verbog und zusammenfaltete. Die Fenster auf der Beifahrerseite verwandelten sich mit einem Knirschen in ein filigranes Netzmuster, dann implodierten sie und übergossen Alain und Sinh mit einer Flut winziger Kristalle. Durch den Glasregen sah ich tatsächlich die drei Insassen des Fahrzeugs, das uns rammte. Alain uns Sinh wurden gegen die linke Innenseite unseres Neons geschleudert, die sich ihrerseits zusammendrückte, wie eine leere Coladose. Der Beifahrersitz wurde aus seiner Verankerung gerissen. Die Rückbank bäumte sich auf, wie ein bockiges Pferd. Ein Nebel aus Blut tauchte auf, während der Aufprall unser Heck hilflos herumschleuderte. Front- und Heckscheibe folgten dem Beispiel der Seitenfenster und platzten. Schräg hinter uns – und durch die Drehung irgendwie schräg vor uns – sah ich, wie sich der Wagen der Verfolger seitlich anhob. Er hatte uns zu weit hinten erwischt und legte sich auf die rechte Seite. Funken sprühten. Ich sah seine Achsen und die Auspuffanlage. Er kam nicht mehr weit; die selbe Hauswand, die unsere halbe Umdrehung mit einem Knall stoppte – bei der die Motorhaube aufsprang wie eine verrückte, umgedrehte Falltür – hielt den schlitternden Mercedes auf. Ich weiß nicht mal, wie ich das sehen konnte, da unsere Haube meine Sicht versperrte. Jedenfalls war das, abgesehen von den Qualen, das letzte, was ich wahrnahm, bevor meine Welt in einer unfreiwillig herbeigeführten Nacht verschwand.
Kein Ballsaal. Keine Villa. Keine Mutter.
Nur Dunkelheit.
Die Schmerzen kamen zuerst. Dann der Geschmack von etwas salzigem. Hitze. Ein konstantes, dumpfes Rauschen in den Ohren, vermengt mit einem fernen Knistern. Und dann, allmählich, Helligkeit. Rotes Licht. Mein linkes Auge brannte. Ich schloss es; die Welt erhielt ihr normales Licht zurück, das war aber auch das einzig Normale. Der orangefarbene Himmel befand sich in meinem unteren Sichtfeld, während die Straße samt ihrer Häuserfront auf dem Kopf stand. Das Ganze eingerahmt von der leeren Fensteröffnung der offenen Fahrertür. Es dauerte, bis ich realisierte, dass ich immer noch im Wagen auf der hochgedrückten Rückbank saß, aber mit dem Oberkörper aus dem zerstörten Seitenfenster hing. Ich drückte mich an der Außenseite der Tür ab und schob mich ins Innere des Wagens zurück. Mein Körper schrie vor Schmerz bei dieser Aktion. Sinh lag zusammengesunken mit dem Kopf auf meinem Oberschenkel. Sein Gesicht, genau wie der Stoff meiner Hose, war blutüberströmt. Ich rief seinen Namen, ohne eine Antwort oder Reaktion zu bekommen. Panik stieg in mir auf. Ich spürte einen Pulsschlag an seinem Hals. Ich bin kein Arzt, aber ich konnte erkennen, dass er leicht und unregelmäßig war.
„Sinh.“
Als ich seinen Namen aussprach, klang es wie ein verkümmertes Krächzen. Von meinem Atem war nicht mehr als ein schnelles Hecheln übrig geblieben, das in ein Husten überging.
„Julian?“
Im ersten Moment hielt ich das Flüstern für Sinhs Stimme, wollte, dass es Sinhs Stimme war. Aber es kam aus dem vorderen Teil des Wracks. Alain hatte sich an der Kopfstütze hochgezogen. Sein Gesicht war zur Hälfte Schwarz und Blau, mit roten Bahnen aus Blut, die es wie Flüsse auf einer Landkarte
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